Spätberufener Schritt aus dem Schattendasein
Besser spät als nie – ein Motto, das nicht nur einem deutschen Politiker der Mittelschicht mit Bierdeckelvergangenheit anheimfällt, sondern auch einem amerikanischen Musikusveteranen aus der Milwaukee-Szene mit sage und schreibe 35 monatlichen Hörer*innen bei einem einschlägigen Streamingdienst … weltweit wohlgemerkt!
Als Sidemen, Multiinstrumentalist und Produzent ist Jim Eannelli bereits seit ungefähr 50 Jahren professionalisiert und hat sich darüber hinaus als Gitarrenbauer und -restaurator einen Namen gemacht, bediente von Power-Pop, über Techno-Pop, Punk, Rockabilly-Country-Bluesrock bis hin zu Folk und Classicrock in den verschiedensten Formationen die gesamte Klaviatur und spielte doch stets nur Nebenrollen.
Nebenbei schrieb er sporadisch eigene Songs und hielt diese ohne große Hintergedanken als Demos fragmentarisch fest.
Dann ereilte ihn aber letztes Jahr eine Nahtoderfahrung und einem Weckruf gleich bekam das eigene musikalische Archiv plötzlich eine ganz andere Bedeutung.
Mit Hilfe seines Netzwerks, seiner Ehefrau Peggy James und seines guten Freundes Gary Tanin, der bereits selbiger bei eigenen musikalischen Projekten (8 monatliche Hörer*innen) unter die Arme gegriffen hatte, beschloss er aus dem Schatten zu treten und ein erstes eigenes Album zu realisieren.
Das Ergebnis liegt dem Rezensenten nun vor und weiß von der ersten Note an zu begeistern.
Die Grundstimmung ist eher dunkel gefärbt, die Erzählungen schöpfen aus dem Reservoir der Lebenserfahrung, wobei der Opener "29 Women" trotz seiner ernsten Kriegsthematik im fröhlichen Shuffle-Rhythmus vorwärtsrollt, während Jim Eannelli gleich mal eine schneidige Twang-Telecaster-Visitenkarte abgibt.
Die Songs sind nach eigener Aussage in Phasen entstanden, in denen es ihm schlecht ging und verarbeiten Traumata unterschiedlichster Couleur, gebettet in einen authentischen, sehr organischen Sound, der ohne Computertricks auskommt, von Gary Tanins Orgel mehrfach veredelt wird und stellenweise an Koryphäen wie Neil Young, John Hiatt oder Tom Petty & The Heartbreakers gemahnt, mit Abstechern Richtung Beatles und aus weiter Ferne winkenden Deep Purple … sanft, nachdenklich, aber auch mit Eruptionen wie im "Train From Chicago", bei welchem großartiges Saitenspektakel aus den Boxen schallt.
Ja, der Protagonist ist nicht nur ein fesselnder Geschichtenerzähler und in weiten Teilen seine eigene Rhythmusabteilung, sondern auch veritabler Saitenartist, der unaufdringlich, ökonomisch, filigran und mit Finesse Glanzlichter zu setzen weiß. Dabei gerät sein Gesangsvortrag sehr angenehm und kommt ohne jegliche Manierismen aus, allerdings fehlt ihm eine Charakterstimme.
"Down My Road", "Old 97" und der Rausschmeißer "Should I Try" brechen den insgesamt ruhigen Fluss des Albums zusätzlich auf, wobei ersteres nochmals wunderbar den Telecaster-Twang von Jim Eannelli in Szene setzt, während letzteres – ob gewollt oder ungewollt – demonstriert, welch schmerzliche Lücke Tom Petty musikalisch hinterlassen hat.
Fazit:
Besser spät als nie … bei dem einen kann der Rezensent herzlich gerne drauf verzichten, bei Jim Eannelli gehen beide Daumen nach oben, verbunden mit dem Wunsch, dass dem Debüt bitte auch ein Nachschlag folgen möge!
Line-up Jim Eannelli:
Jim Eannelli (vocals, guitars, bass, percussion)
Gary Tanin (piano, organ, mellotron, synthesizer)
Peggy James (background vocals – #2,4,7,9,10,12)
Rob Abell (bass – #1,9,12)
Bill Siebert (drums . #1,9,12)
Vic Span (drums – #6)
Lil' Rev (harmonica – #8)
Alex Ballard (guitar, slide guitar – #6)
Tracklist "Just Deserts":
- 29 Woman (3:13)
- Where I’ve Been (3:43)
- News For You (4:19)
- Train From Chicago (4:39)
- Waitin' (4:34)
- Christine (5:27
- Young Girl (3:20)
- I Want To Be Your Man (3:28)
- Down My Road (4:13)
- Old 97 (3:08)
- Simple Man (4:34)
- Should I Try (3:27)
Gesamtspielzeit: 48:32, Erscheinungsjahr 2024



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