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Bröselmaschine / Elegy – CD-Review

Bröselmaschine / Elegy

Seit nunmehr 51 Jahren wird in Duisburg gebröselt. Als Peter Bursch einst mit Freunden die Musik-Kommune Bröselmaschine gründete, lag dies in der aufbegehrenden Rockmusik-Szene in Deutschland voll im Trend. Doch zwischendrin war es immer wieder mal ruhig geworden um unsere Urgesteine, zumal Peter sich in den Siebzigern mit seinen Gitarrenbüchern einen internationalen Ruf erwarb und damit ein ganz anderes Betätigungsfeld eröffnete. So war es für viele Fans eine große Überraschung und Freude, als vor zwei Jahren endlich ein neues Studioalbum der Bröselmaschinisten auf dem Markt erschien. Nun erscheint der Nachfolger, "Elegy", und ich nehme vorweg, das Album wird nachhaltig auf sich aufmerksam machen. Womit? Mit Recht.

Schon bei "Bliss" (Glückseligkeit) befällt mich ein dem Titel entsprechendes Gefühl, aber auch ein deja vu. Vor einem Jahr konnte ich zur Eröffnung der Ausstellung über 50 Jahre Bröselmaschine die Band an einem Wochenende zweimal live erleben und beim Open Air im Lehmbruck-Museum spielten sie bereits erste Nummern aus dem anstehenden Album. Ein Stück davon wurde dem Inhalt entsprechend als "Irish" angekündigt, da es noch keinen Titel hatte. Ich glaube, dass war "Bliss". Die mitreißende Nummer lebt von ihrem vorwärts treibenden Rhythmus und einer klassisch krautrockigen Gitarre. Schon nach einem kurzen Break bricht die Glückseligkeit ein in irisch klingende Folklore und bittet uns zum Tanz. Detlef zelebriert ein kurzes und knackiges Basssolo, Tom legt die Schweineorgel drunter, hier wird in tiefer Tradition gebröselt, aber in einem völlig neuen Gewand. Beweis gefällig? "Elegy", das Titelstück ist eine Adaption vom achtundsiebziger Album "I Feel Fine", aber außer der Struktur des Songs präsentiert es sich uns als eine völlig neue Erfahrung. Die Harmonien werden getragen von Stella Tonons verfremdeter Stimme und herrlich melodischen Gitarren-Freakouts, die zumindest für mein Gefühl auch hier eine leichte, beschwingte irische Note vermitteln. Der beseelte Duktus des Songs konterkariert den Titel, einem Klagegedicht entspricht die eingeschlagene Atmosphäre keineswegs, das gute Gefühl aus dem Opener vertieft sich zu einer wunderschönen Melange aus Optimismus, Liebe und unverkennbarer Hippiekultur.

"Elegy" hat mich schon jetzt am Haken und legt gleich mit einer Nummer nach, die mich endgültig mitnimmt auf die Reise. "Sofa Rock" (hat nichts mit Frank Zappas ähnlich betitelten, wilden Soundorgien zu tun) ist ein reflektierender Abflug in Sphären zeitloser Schönheit. Ähnlich wie beim Bruder auf dem letzten Album, dem indischen Kamel, meditieren wir zu einem eigentümlich monotonen und doch sehr filigran aufgebauten Rhythmus in orientalische Harmonien, sehr schön untermalt durch Stellas Vermögen, eine stimmige und sehr nuancierte stimmliche Modulation anzubieten, wie sie in der Sufi-Musik so sehr geschätzt wird. Getragen wird das Hauptthema durch eine glasklare Gitarre, während im Hintergrund neben den Klangwolken aus Stellas Stimme geheimnisvoll düstere Tastentöne schweben und ein nicht minder spannendes Saxophon mäandert – übrigens eingespielt von Helge Schneider. Eingefangen wird diese verträumte Reise, wenn Michael mit ein paar prägnanten Akkorden und Toms korrespondierender Orgel zurück zum Thema ruft, welches er stoisch und mit ungeheurer Tiefe vorträgt. Hier erinnert man sich gern an den Sound der großartigen Dire Straits. "Sofa Rock", da bin ich sicher, entspringt vermutlich ähnlich ausgeprägt aus einer Improvisation wie schon "Indian Camel" und ist ein Zeitdokument von Musikern, die schon ganz lange wissen, was sie tun. Ein fantastisches Stück psychedelischer Musik.

Sofa Rock 2019

Sofa Rock 2019

Doch auch das ist die Bröselmaschine: Haben sie uns gerade mit einer spielerisch perfekten und himmlisch leichten Meditation auf eine höhere Stufe in Richtung Nirwana geführt, erden sie uns mit einer der unglaublichsten Blues-Versionen eines alten Klassikers, die ich jemals in unseren Breitengraden gehört habe. "I’d Rather Go Blind", einst von Etta James zu einem Allzeit-Klassiker des Blues entwickelt (und wahrscheinlich auch mitgeschrieben, dazu gibt es eine sehr spannende Hintergrundgeschichte, die hier zu weit führen würde) und in einer hinreißenden Version auch immer wieder mal von Gov’t Mule zu hören. Eben jenem Warren Haynes, mit dem Peter auch sehr gerne mal zusammen spielen würde – hat er uns vor zwei Jahren im Interview verraten. Diese Nummer ist live schon seit Jahren ein großer Kracher bei den Konzerten der Bröselmaschine, aber mit dieser Version greifen sie in die Sterne zutiefst emotionaler Musik. Die Intensität zwischen der fantastischen Gitarre und Stellas gänsehauterzeugendem Gesang ist schlichtweg nur noch vergleichbar mit dem legendären "Weit, Weit Weg" der Alpinkatzen, wenn Zabine (ja, mit Z) den Stranzinger und seine Licks in den Himmel fliegen lässt. Ehrlich, diese Nummer geht unter die Haut, dass sich das Nackenfell aufrollt.

Ich bin völlig aufgewühlt von so viel Emotion, Wahnsinn. Und ganz nebenbei, gar so gewagt ist dieser Vergleich nicht, in der Biografie von Peter Bursch und Hubert von Goisern dürfte es eine Menge Ähnlichkeiten geben – auch das wäre mal ein tolles Paar auf der Bühne.

Und wieder nimmt uns Duisburgs berühmteste Ex-Kommune bei der Hand, fängt uns auf und führt uns abermals ins Abendland. Mehr noch als in "Sofa Rock" beweist Stella Tonon hier erneut ihr Vermögen, sich in eine ferne Kultur einzufühlen, aber auch das feine Solo von Tom Plötzer auf den Tasten trifft den Geist orientalischer Musik perfekt. Und hier lässt uns Peters Sitar erstmals fliegen.

"Sole Ruler" bringt eine völlig neue Nuance ins bis hierhin schon schillernde Farbenspiel von "Elegy". Ein schwitzig, jazziger Blues, sanft melancholisch, der von der geradezu erotischen Spannung zwischen Stellas laszivem Gesang und Michaels sanft kreiselnder Gitarre lebt, die hier ein wenig vom Geist des großen David Lindley aufgesaugt zu haben scheint. Wieder gibt es diese herrlichen, ganz zart aufbegehrenden Keyboards, die nur kurz aus dem Hintergrund nach vorn kommen. Mehr als je zuvor scheint mir die Bröselmaschine auf kompositorische Standards klassischer Rockmusik zurückzugreifen, was mit "Black Is Your Colour" sogleich sehr rifforientiert bestätigt wird. Fetzige Saitentöne lesen uns die Leviten und Stella kommentiert leidenschaftlich. Und wenn nach einem fast progressiv klingenden Break die Schweineorgel mit der Gitarre ins Duell geht, dann haben wir Rock’n’Roll vom Feinsten. Wer die Bröselmaschine auf eine Folkrock-Band reduzieren möchte, macht einen schweren Fehler.

Und genau mit dieser These führen sie uns noch einmal an der Nase herum, denn die nächste Nummer,"Pajaro" (spanisch für Vogel), ist genau das: Bester Folkrock. Der Vogel fliegt mit schöner Geigen-Unterstützung, doch den Flug inszeniert in erster Linie der Meister selbst, wenn Peter Bursch die Sitar zum Singen bringt. Einen solchen Song mag man sich auch bei Fairport Convention vorstellen, vor allem aber eine Nummer wie aus den Geschichtsbüchern der Bröselmaschine selbst.

Zuletzt darf noch einmal abgerockt werden und vielleicht darf man an dieser Stelle auch ein ganz klein wenig an die Duisburger Zebras denken, die zu Gründerzeiten der Bröselmaschine noch bessere Tage erleben durften als heute. Mit einer Live-Aufnahme des "Meidericher Shuffle" schenkt uns die Band einen beschaulich driftenden Ausklang, kulminierend in einer schönen Slide-Einlage von Michael Dommers. Auch diese Nummer durfte ich damals live erleben – an der Seite von Lulu Nolden, einem der Meidericher Vizemeister von 1964, deren Trainer, Rudi Gutendorf, vor wenigen Tagen verstorben ist. R.I.P. Riegel-Rudi!

Tja, was soll ich sagen, wenn meine Lokalmatadoren ein solches Werk heraus hauen? Vielleicht ist dies mein Album des Jahres, in den Top-Rängen ist es allemal, höchst Champions League-verdächtig. Der Spannungsbogen ist überwältigend und fasziniert mich noch mehr als der auf "Indian Camel". Die Band bringt ihre individuelle Klasse an allen Stellen ein, ohne dass man auch nur ein einziges Mal vom Gefühl befallen wird, dass irgendeiner in den Vordergrund drängt. Peter Bursch ist eben nicht nur der Gitarrenlehrer der Nation, er spielt nicht nur alle erdenklichen Saiteninstrumente, er ist vor allem ein Regisseur, einer, der inszeniert und steuert. Er ist unzweifelhaft der Kopf der Bröselmaschine. Und wenn man über ein geniales Rhythmuspaar mit Manni von Bohr und Detlef Wiederhöft verfügt, die sich quasi blind verstehen, dann können sich virtuose Solisten wie Michael Dommers und Tom Plötzer darüber genüsslich austoben. Doch beide beherrschen auch das Teamspiel perfekt. Und die 'weiblichen Hauptrollen' hat Peter auch schon immer genial besetzt, "Elegy" ist das erste Album mit Stella Tonon und man kann nur die universellen Kräfte beschwören, dass es nicht das letzte sein möge.

"Elegy" ist ein klassisches Rockalbum geworden, mit mehr Schweineorgel und einer deutlicher in den Vordergrund gestellten Gitarre, das gibt den Kompositionen einen ungeheuren Drive und zeigt mehr denn je, dass die Bröselmaschine weit mehr ist als nur Folkrock. Die Vielseitigkeit der Musik ist ihr herausstechendes Attribut und mit "Sofa Rock" und vor allem der Version von "I’d Rather Go Blind" haben unsere Freunde zwei Sterne in den Kosmos geschossen, deren Leucht- und Strahlkraft niemals verglühen wird.
Duisburg setzt ein Ausrufungszeichen in Sachen Rockmusik, der Bröselmaschine sei Dank!
Darum, liebe Duisburger, macht Euch am 27.10.2019 auf den Weg ins Grammatikoff, denn dann erscheint das Album und es wird live gebröselt.

(Sofa Rock-Foto mit freundlicher Genehmigung von MIG Music)


Line-up Bröselmaschine:

Peter Bursch (guitar, sitar, vocals)
Stella Tonon (vocals)
Manni von Bohr (drums)
Michael Dommers (guitar, vocals)
Tom Plötzer (keyboards)
Detlef Wiederhöft (bass)

Gäste:
Helge Schneider (saxophone)
Tamara Sidorova (fiddle)

Tracklist "Elegy":

  1. Bliss
  2. Elegy
  3. Sofa Rock
  4. I’d Rather Go Blind
  5. Oriental Mind
  6. Sole Ruler
  7. Black Is Your Colour
  8. Pajaro
  9. Meidericher Shuffle

Gesamtspielzeit: 46:50, Erscheinungsjahr: 2019

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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