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Hannes Wader / Poetenweg – CD-Review

Hannes Wader / Poetenweg

»Liebe Gäste, nach meinem Abschied vom Tourneeleben ist das nach vier Jahren mein erster Bühnenauftritt. Ich wünsche Euch einen schönen Abend.«
So begrüßt Deutschlands bekanntester Folk-Sänger des letzten halben Jahrhunderts sein ausgewähltes Publikum. Er spielt ein Konzert nach all der Zeit, weil man ihm daheim eine Straße widmen wird. Im Verlauf des Konzerts nennt er sich selbst »nicht besonders dankbar.« Ich hab da so meine Zweifel.

Nein, den 1942 geborenen Hans Wader aus Bethel bei Bielefeld, nach Aussage seines Geburtsarztes als 'Napoleon der Bogenpisser' zur Welt gekommen, werde ich nicht in seiner Biografie präsentieren, wer jemals ein wenig Sinn für deutschen Folk und auch politisches (sozialistisches) Liedgut pflegte, wird ihn als Ikone eh kennen und verehren; ein Mann, den die Welt seit seiner Jugend Hannes nennt. Wer die Geschichte um den Bogenpisser und ganz viele persönliche Episoden seines Lebens kennen lernen möchte, ist hier herzlich willkommen, sich ein wenig mehr mit dem Poetenweg zu beschäftigen, denn Hannes wechselt Lesung und Song, so dass wir ganz viel über ihn und seine Geschichte erfahren. Ich verspreche Euch, es macht Spaß und lässt Euch viel nachdenken – vielleicht geht es Euch dann aber auch wie mir, der sich ganz massiv an seine eigene Geschichte erinnert, wenn er dem Erzählten und Gesungenem folgt. Denn das ist das Faszinierende an diesem Auftritt zwischen Geschichten und Liedern: Es sind Geschichten aus dem Leben von Hannes Wader und eben auch der Geschichte unseres Landes, beginnend in jenem schrecklichen Krieg, den auch meine Eltern erleben mussten. Und es sind all die kleinen, persönlichen und am Anfang so nostalgischen Episoden, die uns allen irgendwie widerfahren sind, die uns, unseren Werdegang, aber auch das Fundament unserer heutigen Gesellschaft geprägt haben. Es sind die Geschichten, denen gerade die heutige Jugend zuhören sollte. So wie ich damals, wenn 'Onkel' Hennes zu Gast war. Kein echter Verwandter, sondern ein Kollege und Saufkumpel meines Vaters. Wenn er von Stalingrad erzählte, wo er einst sein Bein verlor, hab ich schon als Junge nur noch das Maul gehalten, mich in eine Ecke zurückgezogen und einfach nur zugehört.

In den Siebzigern machte ich mich vorsichtig neben den krachenden Rock-Heroen mit dem hiesigen Folk vertraut. Der Zupfgeigenhansel (Erich Schmeckenbecher und Thomas Friz) und die Lieder von Pfaffen und Bauern, später Falckenstein mit ihrem hinreißend folkigen Krautrock, angeführt vom großartigen Wuppertaler Thomas Kagermann, der schon zuvor mit Fidel Michel die Szene mitprägte. Und eben Hannes Wader mit seinen Arbeiterliedern. Ich sang solche einst 1980 gegen den Kanzlerkandidaten Strauß, erinnere mich an Willi Brandt, wie er nach einer Wahl mit seinen Genossen »Brüder zur Sonne, zur Freiheit« anstimmte. Das Lied hören wir später und ich freue mich diebisch, dass wir zwei Strophen auf russisch dargeboten bekommen. Es ist ein kleines Signal gegen die unsägliche Polemik eines neuen kalten Krieges, die hier die Politik und Presse seit etwa 2008 neu entdeckt hat, nur weil es den transatlantischen Strömungen nicht so gut gefallen hat, dass Frankreich und Deutschland sich zu Beginn des neuen Jahrtausends Russland so sehr annäherten, dass amerikanische Wirtschaftsziele offenkundig ins Wanken gerieten. Seitdem ist der böse Russ wieder populär – wie einst bei den Nazis. Ich hätte es vor zwanzig Jahren noch für unmöglich gehalten und schäme mich dafür!

Hannes zitiert in seinen Lesungen jenen Spruch, den es auch in meiner Kindheit gab: »Katharina Valente hat ’n Arsch wie ’ne Ente, hat ’n Arsch wie ’ne Kuh und raus bist Du.« So zählten wir damals die Spieler aus, wenn wir auf der Straße Fußball spielten. Es sind die verspielten Momente des Konzerts und der glückliche Verweis darauf, dass unsere Geschichte nicht nur aus dramatischen Betroffenheitsgeschehnissen besteht. Es bringt mir die Lässigkeit unserer Kindheit zurück, von der ich immer mehr glaube, dass sie viel schöner war als das, was unsere Zwerge heute erleben.
Es lässt mich mit Dankbarkeit reflektieren.

»Ich mag es, auf der Bühne zu stehen – aber keine Minute länger als nötig als einer, der seinem Publikum mehr misstraut, als es zu mögen, selbst aber von ihm geliebt werden will.« Ist es das, was Woody Allen einst als Zitat eines Groucho Marx-Witzes in seinen legendären Film "Der Stadtneurotiker" einbaute? »Ich will keinem Club angehören, der Leute wie mich als Mitglied aufnimmt?«

"Wilde Schwäne" ist ein Lied, welches mich immer wieder sehr berührt. Die traurige Ballade über die Potentiale des Lebens, die letztlich – warum auch immer – nicht genutzt werden können, stimmt mich so melancholisch. Hab ich meine Möglichkeiten ausgeschöpft? Wenn nicht, warum? Am Ende schneide ich dabei ganz gut ab, aber ich kenne so viele Menschen, die an der entscheidenden Weiche ihres Lebens Pech hatten oder schlicht die falsche Entscheidung getroffen haben. Ein ewiges Thema, in epischen Dramen verewigt – und doch hat ein (fast) jeder seine eigenen Erfahrungen damit.

Wenn Hannes über seine Mutter erzählt, kommen mir die Tränen. Auch wenn er zwischen den Zeilen immer wieder anklingen lässt, dass seine Kindheit nicht immer von besonderer Emotionalität geprägt gewesen ist (war bei mir vollkommen anders), so sind seine Erzählungen doch durchdrungen von Liebe und Zuneigung für diejenige, die ihm das Leben geschenkt hat. In diesen Zeiten und so kurz vor Weihnachten ziehen meine Gedanken weit hinaus, zurück in die Vergangenheit. Nein, auch meine Kindheit war kein Dauerlutscher-Schlecken. Doch wie sehr ich jedoch meine Eltern vermisse kann ich Euch schwerlich beschreiben. Hannes trifft jede Faser meiner Empfindungen, wenn er von den Liedern seiner Mutter spricht. Wie sehr hab ich es geliebt, wenn Mama mir einst als Kleinkind vor dem Einschlafen noch ein paar Lieder sang. Und wie oft haben wir später gemeinsam drüber gelacht, wie ich es in meiner Jugend kaum ertragen konnte, wenn meine Eltern zu Zeiten meiner aufbegehrenden Rebellion fürchterliche Schlager und seichte Gesänge vortrugen. Die Intensität und Lautstärke der vorgetragenen Unerfreulichkeiten potenzierte sich bei meinem Vater übrigens mit steigendem Promillestand. Er sang eher Heino denn Hannes, obwohl auch meine Eltern in ihrer Jugend sehr wohl dem Volkslied verbunden waren. Als die Lustigen Musikanten dort die Oberhand gewannen, verging mir der Spaß.

Doch Hannes wurde eine Zeit lang auch stigmatisiert, weil der damalige Mainstream in den Siebzigern seine politische Orientierung an den Pranger stellte. Seine Mitgliedschaft in der DKP sah man nicht so gern. So wie man wenige Jahre später eine neue, politische Bewegung aus den Umweltschutz-Bewegungen als linke Terroristen beschimpfte, als sie erstmals in den Bundestag einzogen. Ich hab sie damals mit viel Empathie gewählt. Heute darf man jeden, der sich den Strömungen der letzten Jahren kritisch gegenüber stellt, als Rechtspopulisten und Verschwörungstheoretiker beschimpfen. Wie sich die Zeiten doch ändern – oder auch nicht. Anscheinend mag man es in Deutschland, Feindbilder zu pflegen, das haben auch diktatorische Regime unserer Vergangenheit gewusst und gerne praktiziert. Wäre schön, wenn wir endlich mal dazu lernen und aufhören würden, anders Denkende mit Sternen, Stempeln oder Stigmata zu belegen. Ich dachte immer, Diskurs und Austausch wären der Demokratie Wesen.

Zum Ende widmet Hannes seine Gedanken denen, die nicht mehr bei uns sind und wie man womöglich selbst damit umzugehen gedenkt, wenn einem einst die Stunde schlägt. "Damals" und "Schwestern und Brüder" lässt gerade uns ältere Semester sehr ruhig werden, vermutlich hat jeder von uns seine Strategie zu diesem für viele immer noch Tabu-Thema. Ich bin froh und glücklich, dass ich diesen Schritt bewältigt habe und der Tod für mich seinen Schrecken verloren hat. Es lebt sich leichter, wenn man seine Endlichkeit akzeptiert hat.

"Heute hier, morgen dort" ist ein großer Hannes Wader-Klassiker, er verabschiedet uns an diesem einmaligen und unwiederbringlichen Abend. Wie schön ist es, einem alten Menschen lauschen zu können, der die elementar wesentlichen Epochen unserer Heimat erlebt hat und diese mit seinem Scharfsinn, seiner Lyrik und seinem Herz einordnet. Und seiner persönlichen Geschichte. Es erscheint mir, als käme er auf einem Pferdewagen vorbei gefahren, um uns mitzunehmen, die eigenen Wurzeln unserer Vergangenheit zu beleuchten. Er lässt uns an seinem Leben Anteil nehmen, um unser eigenes zu verstehen.
Kann man das Leben eines Barden besser darbieten als auf diese Weise?


Line-up Hannes Wader:

Hannes Wader (vocals, guitar)

Tracklist "Poetenweg":

  1. Begrüßung
  2. Gut, wieder hier zu sein
  3. Krebsgeboren (Lesung)
  4. Krebsgang
  5. Lehrzeit (Lesung)
  6. Wahre Freundschaft
  7. Blessuren (Lesung)
  8. Wilde Schwäne
  9. Lieder der Arbeiterbewegung (Lesung)
  10. Brüder, zur Sonne, zur Freiheit
  11. Singen vertreibt das Leid (Lesung)
  12. Alle Hügel und Täler
  13. Wie aus einer anderen Welt (Lesung)
  14. Drei Zigeuner
  15. Soziokulturelle Prägungen (Lesung)
  16. Und am Abend ziehen Gaukler
  17. Am Poetenweg (Lesung)
  18. Der Zimmermann
  19. Fahrende Sänger (Lesung)
  20. Damals
  21. Schon zu viele (Lesung)
  22. Schwestern, Brüder
  23. Heute hier, morgen dort

Gesamtspielzeit: 72:58, Erscheinungsjahr: 2021

Über den Autor

Paul Pasternak

Hauptgenres: Psychedelic Rock, Stoner Rock, Blues Rock, Jam Rock, Progressive Rock, Classic Rock, Fusion

Über mich

4 Kommentare

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  1. Heinrich Locker

    Eine rührende Geschichte, vor allem, weil ich gerade erst seine Biographie zu Ende gelesen habe. Hannes hat, wenn auch nicht als Saufkumpel, so doch als bewunderter Barde, mein Leben begleitet. Zunächst als Student – in Bad Godesberg bin ich mangels Knete über ein Toilettenfenster in die Stadthalle (glaube ich) eingestiegen. Und ich stand plötzlich hinter Hannes oder Reinhard Mey auf einer Bühne. Von seinen Auftritten habe ich von Koblenz bis zur Mühle Hunzigen (doer so ähnlich) in der Schweiz viele verfolgt. Das Schweizer Konzert hatten mir meine dortigen Freunde als Überraschung geschenkt.
    Selber ein (bescheidener) Klimperer kann ich mit "Heute hier, morgen dort" immer noch ein paar Punkte sammeln, auch wenn ich bei weitem nicht an Hannes`Zupfkünste heranreiche.
    Egal, ich würde ihm gerne schreiben, wie sehr seine Lieder mein Leben bereichert haben. Kleines Beispiel: Am letzten Tag meiner offiziellen Tätigkeit habe ich auf der Heimfahrt im Auto "Heute hier, morgen dort" aufgedreht und glücklich mitgesungen.
    Falls jemand weiß, wie man ihm schreiben kann, würde ich mich über einen Hinweis freuen.
    Mit fröhlichen Grüßen
    Heinrich ("Henry") Locker

    1. Heinrich Locker

      Das habe ich dem alten Hannes und seinem Publikum gegönnt, noch einmal einen Auftritt, hoffentlich in alter Frische. Schon in den siebziger Jahren galt er unter uns Studenten als Geheimtipp – und rasch hatten wir es raus (ich auch), "Heute hier, morgen dort" in einer vereinfachten Version zu klimpern und zu singen, mit dem ein oder anderen gar zweistimmig. Hannes habe ich oft live in Konzerten erlebt, von Mayen in der Eifel bis in die Schweiz, wo mich meine dortigen Freunde mit einem Konzert von Hannes in einer Mühle überrascht haben. Als junger Kerl bin ich einmal mangels Knete in Bad Godesberg über ein offenes Toilettenfenster in eine Halle eingestiegen – und stand plötzlich hinter Hannes, der dort gemeinsam mit Mey und anderen auftrat. Hat keiner gemerkt.
      Ich wünsche ihm, der mit seiner Gesundheit wohl öfter Schlitten gefahren ist, ein langes Leben!
      Falls jemand weiß, auf welchem Wege man ihm ein paar freundliche Zeilen zukommen lassen kann, würde ich mich über einen Hinweis freuen.
      Mit fröhlichen Grüßen
      Henry Locker

      1. Ilka Heiser

        Geh mal direkt auf die Website von Hannes Wader: https://www.hanneswader.de/
        Unter den Button "Kontakt" findest Du die Mail-Adresse, aber auch seine Postanschrift.

        1. Felix Schulz

          Ich möchte dem Review in der Hinsicht höflichst widersprechen, dass gesagt wird, Andersdenkende würden mit Stempeln, Sternen und Stigmata belegt oder als Rechtspopulisten und Verschwörungstheoretiker beschimpft. Es ist so falsch nicht, dass durch das Internet und die Vernetzung der Welt eine andere Aufmerksamkeit herrscht, die gern in Aufgeregtheit umschlägt. Aber hier wird niemand als Rechtspopulist oder Verschwörungstheoretiker bezeichnet, der sich nicht auch wirklich dahingehend äußert. Wir machen es uns zu leicht, wenn wir sagen, da schwimmen ein paar gegen den Strom, die sagen ja bloß ihre Meinung. Nein, gerade in dieser Pandemie sieht man wie durch ein Brennglas, wo Solidarität beginnt, wo sachlich diskutiert weden kann und wo hanebüchende Verleumdungen und Mordaufrufe oder Systemumstürze geäußert werden. Dass als einfache Meinungsäußerung stehenzulassen, können gerade wir uns, in unserer zerbrechlichen Demokratie, mit unserer dunklen Verganhenheit nicht leisten. Wehret den Anfängen. Und denkt am den 06. Januar 2021 in Washington. Andere Meinungen sind willkommen, aber die Rechte jedes einzelnen gehen auch nur so weit wie sie die Rechte anderer oder der Gesamtheit nicht verletzt.

          Und zum Schreiben an Hannes Wader. Machen Sie sich keine allzu großen Hoffnungen auf eine Antwort. Mir, der ich unter Lightrider28 auf YouTube seine Lieder covere, hat er auch mehrmals nicht geantwortet.

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