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Latin Quarter / The Imagination Of Thieves – CD-Review

Sind das nun die Vorstellungen, die Diebe haben, oder die Vorstellungen, die man sich von Dieben macht? Doppeldeutig ist das, was Latin Quarter für ihr aktuelles Album "The Imagination Of Thieves" als Titel ausgewählt haben. Die britische Polit-Pop-Band um Steve Skaith thematisiert wieder mal, immer noch, politisch brisanten Stoff im zunächst harmlos wirkenden poppigen Gewand. Das Gewand, in dem die vollkommmen gesichtslose Unperson auf dem Titelbild daherkommt, wirkt wie feinster Zwirn. Die Figur im Anzug mit weißem Kragen und Manschetten erinnert an Bilder von René Magritte. Auf der Rückseite des Digipak sind weitere Nadelstreifenfiguren ohne Köpfe, mit fordernd verschränkten Armen. Das Dollarzeichen am Revers verrät, woher der Wind weht. Der erste Song wandelt den Titel leicht ab: "Thieves' Imagination" und löst die Doppeldeutigkeit des Albumtitels ein wenig auf. Der Polizist in Uniform, der Cousin des Königs und all die anderen so seriös erscheinenden Persönlichkeiten und doch »Oh nothing’s what it seems / It’s like we are in the theatre / He’s got his policeman’s costume on / But a thieves', he’s got a thieves' imagination.« Die Melodie von "Thieves' Imagination" perlt dabei so sanft und schön vor sich hin, dass man schon genau hinhören (auf den Text hören) muss, um nicht in Versuchung zu geraten, das als einfach nur ’nett' abzutun. Aber wer Latin Quarter kennt, der kennt das schon.

Aus den 80er Jahren kennt man ihr politisches Engagement; aus dieser Dekade stammt auch der Text (von Mike Jones) zu "Below The Water". Ursprünglich gegen die Politik der Tory-Regierung gerichtet, bleibt dieser Text, der sich gegen den Gedanken ausspricht, wenn es den Oberen gut geht, würde das auch auf die unteren Gesellschaftsschichten positiv wirken, mit einer minimalen Änderung aktuell. Aus »YTS medicine« wurde »Free market medicine«. Auf der Band-Website gibt es übrigens zu jedem Song weiterführende Informationen. Besonders interessant sind auch die Hintergründe zu "I Am Refugee". Vorm Vorabveröffentlichen dieses Liedes hatte Steve Skaith in der Facebookgruppe zu Latin Quarter nach Meinungen gefragt, weil er sich nicht in den Verdacht bringen wollte, opportunistisch auf einen fahrenden Zug aufzuspringen. Wenn ich jemandem abnehme, dass genau das nicht sein Motiv ist, dann gehört der Menschenrechtler Steve Skaith mit Sicherheit dazu.

Der Bankräuber in "A Bank Robber’s Lament" könnte (rein musikalisch) auch durch den heißen und wilden Westen geritten sein. Und der (selbstredend politische) Text, den Duncan Campbell, Journalist beim Guardian, beigesteuert hat? Der erinnert nicht nur an Bertold Brecht, sondern führt ihn sogar als Inspiration an – sag ich doch – die Dreigroschenoper rockt auch heute noch!! War die Assoziation bei "Thieves' Imagination" noch eher vage, hier wird sie unvermeidbar.

Doch nicht nur Politik, sondern auch private Themen, beschäftigen Latin Quarter wie schon auf Tilt, so auch auf dieser Platte. "You And Me", mit Text von Michael MacNeill, beschreibt eine nicht mehr ganz glückliche Liebe. "Dylan Thomas Was Right" als Song von Steve Skaith über das Älterwerden. Desillusioniertheit könnte man als das große Thema von "Her Song" betrachten – auch hier ist der Inhalt nicht so liebreizend wie die Verpackung. Und wenn wir gerade bei liebreizend sind, mittlerweile haben die wunderbare Yona Dunsford und Greg Harewood die Band leider (wieder mal?) verlassen. Nun sind ja Line-up-Wechsel bei Latin Quarter nichts Neues und die eigentliche Linie bleibt schon durch die beiden Steves erhalten, dennoch finde ich es schade, auch wenn Mary Carewe und Yo Yo Buys ihre Sache gut machen.

Eingefleischte Fans halten wahrscheinlich "The Imagination Of Thieves" ohnehin schon in Händen, vermutlich sogar als limitierte Vinyl-Ausgabe. Wer die Band womöglich gar nicht kennt oder aus den Augen verloren hatte, sollte das Album unbedingt antesten. Meine Anspieltipps dazu wären beispielsweise "Should Have Been Buried", das nachdenkliche "Dylan Thomas Was Right" oder auch "The River Runs", das ziemlich stark an alte Latin Quarter-Zeiten anknüpft. Allerdings gilt auch für dieses Album wieder, dass die Lieder ein paar Durchläufe brauchen, um ihre Ohrwurmqualitäten zu entfalten, vermutlich krallt sich kein Song auf Anhieb in die Hörgänge.


Line-up Latin Quarter:

Steve Jeffries (keyboards, backing vocals)
Steve Skaith (acoustic guitar, vocals)
Martin Ditcham (drums, percussion)
Yo Yo Buys (bass, electric guitar)
Mary Carewe (vocals)

Additional musicians:

Ricky Gore (violin – #7,10)

Tracklist "The Imagination Of Thieves":

  1. Thieves' Imagination
  2. Below The Water
  3. You And Me
  4. Should Have Been Buried
  5. Number 5
  6. Dylan Thomas Was Right
  7. A Bank Robber’s Lament
  8. Blue Drifting
  9. The River Runs
  10. Her Song
  11. Dark Side Running
  12. I Am Refugee
  13. The Promise

Gesamtspielzeit: 43:12, Erscheinungsjahr: 2016

Über den Autor

Sabine Feickert

Hauptgenres: Rock, Deutschrock, Mittelalter, 'leise Töne'
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