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Pankow – Konzertbericht, 11.11.2023, Tante JU Dresden

Live-Club Tante JU Dresden

Dem Konzert mit der Band Pankow am 11. November 2023 im Live-Club Tante JU in Dresden darf man getrost einen Eintrag ins Geschichtsbuch widmen. Das lag keineswegs am Datum des Faschingsauftaktes an jenem Tag, sondern ausschließlich am Geschehen auf der Bühne. Die Berliner kommen nur noch im Schnitt alle fünf Jahre im Studio und auf der Bühne zusammen, ist zu lesen. Ausgedehnte Tour heißt in diesem Fall drei Konzertabende im Kalenderjahr. Die beiden Veranstaltungen in Leipzig und Dresden waren jeweils ausverkauft. Es folgt zum Abschluss das Heimspiel am 19. November in Berlin. Das Interesse der Fans ist nach wie vor sehr groß.

Ein Freund aus meiner Heimat erzählte mir in Dresden, dass er sich im Vorfeld alle AMIGA-Scheiben mit Pankow angehört habe und heute noch erstaunt sei, wie die Kompositionen und insbesondere die freizügigen Texte damals auf Vinyl oder gar ins Radio geraten konnten. Genau das ist der Punkt, an dem wir uns den Geschichtsbüchern zuwenden können. Pankow leben immer noch im Hier und Jetzt und ihre pointierten Texte treffen den Lebensnerv vieler Menschen. In den 1980er Jahren war das nicht anders. Ihre Veröffentlichungen wurden damals von den Wächtern der Kultur in der DDR gestoppt oder zeitversetzt mit Murren gesendet. Ein weiteres Merkmal aus den Anfangsjahren: Viele Lieder trugen den konkreten Namen einer Person. Phantasie oder nicht: Namen wie Doris, Gabi, Inge (Pawelczik) und Paule gaben der Handlung eine besondere Gestalt.

Pankow waren stets alles andere als angepasst. Bei den Shows der 'Rocklegenden' der früheren DDR, zu denen sich aktive und ehemalige Musiker vor einigen Jahren zusammen fanden, waren sie nicht dabei. Galten sie als zu sehr unangepasst? Heute noch? Bei Pankow gilt der Rock’n’Roll. Hier gibt es harte Riffs und raue Poesie. Vor 40 Jahren genau wie heute. Besonders bezeichnend beim Konzert in Dresden: Während gewöhnlich bei Konzerten im Zugabeteil der tosende Beifall aufkommt, geschah das im Tante JU schon nach dem dritten, vierten Titel. Die Begeisterung riss nicht ab. Diese Begeisterung war ehrlich, sehr herzlich und auf das Geschehen fokussiert. Es war keine Euphorie zu beobachten, weil Musiker und Publikum als Einheit zu betrachten waren.

Gefeiert wurden ältere Stücke genauso wie Lieder jüngeren Datums, wie beispielsweise "Babel" aus dem Album "Neuer Tag in Pankow", das 2011 beim Label BuschFunk erschienen ist und einer der Konzerthöhepunkte war. Mit dem gleichnamigen Album nahmen die Musiker bewusst Anleihen an frühe Bandjahre und Songs. Der Text "Babel" wiederum entstand in Anlehnung an die Geschichte vom "Turmbau zu Babel" und hat seinen Ursprung in der "Bibel".

Einen unverwüstlichen Klassikerstatus genießen "Rock’n' Roll im Stadtpark", "Er will anders sein", "Aufruhr in den Augen", "Gib mir ein Zeichen" und "Kille Kille". "Kille Kille" ist zugleich der Titel des ersten Albums der Band Pankow, das 1983 auf dem DDR-Plattenlabel Amiga erschienen ist. Die 40. Wiederkehr des Kultus-Albums war der offizielle Anlass der diesjährigen Herbsttour. Die Tour war diesem Album gewidmet. Für einen schnörkellosen Ablauf der Konzerte sorgte Sänger André Herzberg, der sich bei Moderationen knapp hielt, dabei aber fast immer eine kurze, passende Geschichte bereit hatte. Selten glitten zwei Titel ohne Moderation ineinander über. Wer die Band Pankow kennt, war nicht überrascht. Herzberg machte dabei eine gute Figur, verlor sich nicht in uferlose Reden, sondern gewährte seinen vorzüglichen Musikerkollegen während der zweistündigen Show maximale Spielzeit

Wenn wir zuweilen lesen, dass die 1981 in Ostberlin gegründete Band mit den Rolling Stones verglichen wird, dann mag dieser Vergleich vielleicht sehr weit hergeholt sein. Musikalisch trifft es allerdings zu, nimmt man die stark an den Rock’n’Roll angelehnten Akkorde sowie den erdigen Klang von Gitarre und Rhythmusfraktion. Vor allem aber ist es aus Sicht von Sänger André Herzberg die Tatsache, dass es bei den Stones in der Person von Keith Richards ebenfalls einen Gitarristen gibt, der gelegentlich in die Rolle des Co-Sängers tritt. So lautete seine Botschaft an die Konzertbesucher. Das bedeutete einen Ritterschlag für Jürgen Ehle, der mehrmals mit Gesang zu hören war. Ehle ist neben Herzberg Gründungsmitglied, gehört Pankow aber seit 1981 ununterbrochen an, währenddessen sich André Herzberg von 1990 eine 1996 eine Auszeit bei der Berliner Formation nahm. In dieser Zeit war Ehle bei Auftritten alleiniger Sänger. Mir fällt beim Wirken der Band sofort der Name Rio Reiser ein. Mit dessen Musik und seinen zeitlosen Texten sind Pankow gut zu vergleichen.

Pankow sind eine gefestigte Band, in der neben dem Gründungsduo um Herzberg und Ehle mit Schlagzeuger Stefan Dohanetz (seit 1985), Keyboarder Kulle Dziuk (seit 1996) und Bassist André Drechsler (seit 2016) langjährige Mitglieder stehen. Das kann man im Konzert hören und sehen. André Herzberg und Jürgen Ehle prägen sicherlich das Ensemble, in dem es ein fast schon blindes Zusammenspiel aller Akteure gibt. Ein Pankow-Konzert ist eine Art Frischzellenkur. Sie belebt die Sinne, fördert das Nachdenken und ist an anderer Stelle wieder Balsam für die Seele. Wenn es heißt "Er will anders sein", dann fühlen sich viele Hörer persönlich angesprochen oder es gibt ihrerseits gute Gründe, sich zu erinnern. Während einige Kompositionen aufpoliert wurden, erklang "Er will anders sein" in einer völlig neuen Version – musikalische Abwechslung als eine wichtige Säule im Liveerlebnis mit Pankow. Sänger André Herzberg bedankte sich sehr herzlich bei den Fans und wünschte sich, dass es auch in Zukunft noch ein solches Miteinander gibt. »Wenn Ihr uns noch wollt«, rief er den Zuhörern zu. Der Auftritt in Dresden bot jedenfalls alles, was diese Hoffnung am Leben erhält.

Ein herzliches Dankeschön geht an Dr. Klaus Koch von BuschFunk für den Platz auf der Gästeliste.


Pankow, November 2023 in der Tante Ju

Pankow, November 2023 in der Tante JU

Line-up Pankow:

André Herzberg (Gesang, Mundharmonika)
Jürgen Ehle (Gitarre, Gesang)
André Drechsler (Bass)
Kulle Dziuk (Keyboard)
Stefan Dohanetz (Schlagzeug)

 

 

Bildnachweis: © 2023 | Mario Keim | RockTimes

Über den Autor

Mario Keim

Musikstile: Heavy Rock, Rock, Deutschrock, Hard Rock
Marios Beiträge im RockTimes-Archiv

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