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Pendragon / Love Over Fear – CD-Review

Pendragon / Love Over Fear

Eine große alte Liebe ist heimgekehrt!

Fast auf den Tag genau seit acht Jahren schreibe ich nun schon über Musik und es hat bis heute gedauert, dass ich endlich meinen liebsten Neo-Proggern ein paar Zeilen widmen werde. Dabei haben mich Pendragon mit ihren epischen Werken fast mein halbes Leben schon begleitet, Nicky Barretts Gitarre ließ mich lachen, weinen, grölen vor Begeisterung, sein unfassbares Melodie-Gefühl ist in der Rockmusik ziemlich unerreicht. Wenn seine Improvisationen in den Himmel steigen, dann tanzen die Engel. Damals, zum Jahrtausendwechsel, planten wir eine Party tief in den Eingeweiden des Duisburger Hauptbahnhofs, in stillgelegten Tunnels und an geheimnisvollen Plätzen. "Masters Of Illusion" vom Sechsundneunziger Meisterwerk The Masquerade Overture sollte der letzte Song des alten Milleniums werden – wer das dramatisch hymnische Finale dieses epischen Stücks kennt, wird verstehen, warum ich es ausgewählt hatte. Floyds "Comfortably Numb" wäre die adäquate Alternative gewesen.

Und all denen, die auf die klassischen Pendragon-Alben abfahren, darf ich versprechen: Sie sind zurück. Zurück in dem Stil, der sie für viele so begehrenswert gemacht hat.

Ja, ich kenne die im Netz immer wieder mal hoch köchelnden Diskussionen über das Volumen von Nicks Sangesstimme und ein womögliches Überangebot an Harmonie in den alten Kompositionen von Pendragon.
Okay, jedem das Seine.

Ich für meinen Teil habe von früher Kindheit an ein ausgeprägtes Harmoniebedürfnis verspürt und in vielen Nächten haben mich Pendragon genau aus diesem Grund in höchste Stimmungs-Amplitüden geführt. Und ich stehe voll und ganz hinter Nicks gesanglichen Leistungen, die schlicht und einfach ins musikalische Konzept passen, denn stimmlich sanfte Zurückhaltung und ausufernd klangmalende Gitarren ergänzen sich perfekt, das macht den Reiz des Ganzen aus. Und wenn ein Tastenzauberer wie Clive Nolan an der Seite steht – ein Mann, der es wie kaum ein zweiter versteht, andere Musiker in Szene zu setzen und der auch bei Arena fantastische Arbeit seit mehr als zwei Dekaden abliefert – dann kann daraus nur etwas entstehen, was Freunde gepflegter Melodic in ekstatische Zustände führen muss. Das fast dreistündige Live-Konzert Concerto Maximo brachte es seinerzeit auf den Punkt, himmlisch, weltentrückt und von kraftvoller Energie wie ein Vulkanausbruch.
So simpel ist das Erfolgsrezept von Pendragon seit mehr als dreißig Jahren, man kann es mögen oder auch nicht.

Ich liebe es, heiß und innig!

Ach ja, und auf diesem Album finde ich Nicks Gesang sensibler denn je, man nehme einfach nur mal das balladenhafte "Whirlwind" mit dem wundervollen Saxofon am Ende. Gänsehaut.
Vor allem aber sind es die klassischen Attituden, die auch auf "Love Over Fear" die wahren Highlights setzen, erstmals mit dem Kracher "Truth And Lies". Dies ist vom Anfang bis zum Ende ein Pendragon-Klassiker. Typische Gesangs-Lines und über allem die herrlichen Gitarren. Akustisch im Hintergrund, klar und pointiert in der Harmoniegestaltung und unerreicht in der Epik einer sich aufschwingenden Lead-Guitar. Während Clive seine warmen Tasten-Teppiche dezent an den Meister anschmiegt. Das Gitarrensolo aber, das ist es, was Pendragon wirklich ausmacht. Wenn Nicky langsam ausholt, allmählich steigert und mehr und mehr Schmalz aufstreicht – irgendwann dann scheint es wirklich so, als ob sich Universen öffnen und den Blick freigeben auf etwas Höheres, von dem man nicht zu träumen wagt. Wem diese Melodik zu viel ist, der wird keine erhabenen Empfindungen dabei verzeichnen, man muss diese epischen Ausflüge halt mögen, um auf ihren Flügeln zu fliegen.

Insgesamt sehe ich die Kompositionen am nächsten beim großartigen Album von 1999, "Not Of This World", doch ist die Grundausrichtung auf "Love Over Fear" ein wenig romantischer und verträumter. Die artrockigen Exkurse, die insbesondere auf "Pure" so hinreißend interpretiert wurden, treten eindeutig in den Hintergrund und haben nur noch untergeordnete Bedeutung. Dieser Stil kommt ein Stück weit in "Who Really Are We?" zum Tragen, sicher ein Symbol für die jüngste Vergangenheit der Band.

Wir stehen insgesamt aber eher vor einer bandeigenen Selbstausgrabung. Zum Vorschein kommt ein Artefakt, das im Licht der neuen Zeit ein wenig Farbe nimmt, aber niemals seine alten Strukturen verrät. Alles kulminierend in "Eternal Light", in dem die Band ihre ganze Geschichte widerzuspiegeln scheint, von "Kowtow" über "The Window Of Life" bis eben hin zum zitierten "Not Of This World". Pendragon befinden sich in der vierten Dekade ihres Schaffens und sind immer noch frisch und mitreißend, vor allem in diesem Song. Wenn Clive seine zurückgenommenen Keys versammelt, die Akustische sanft im Hintergrund mäandert, chorale Vibes ein wenig Genesis-Feeling ("Entangled") verströmen und sich am Ende die herrliche Stratocaster entladen darf. Es ist dies das Firmament nach dem großen Gewitter, das gute Gefühl, all die Gewalten der Natur auf unserer Seite zu haben. Die Band nimmt uns bei der Hand und führt uns über die Ziellinie. Harmonie ist nichts verwerfliches, in Zeiten wie diesen zeigt sie uns vielleicht sogar den Weg.

Wie geil, dass direkt danach mit dem herrlich reflektierenden "Water" ein faszinierender Kontrapunkt gesetzt wird, in dem die glasklaren Gitarrenklänge den Songtitel so stimmungsgerecht wiedergeben. Das Wasser, Element des Lebens, dem auch das Cover-Artwork eindeutige Präferenzen schenkt. Ach ja, und die Solo-Gitarre in diesem Song muss auch aus einem besseren Universum zu uns durchgedrungen sein. So spielt nur Nick Barrett.

Ja, ich bin Fan dieser Band…

Wer die klassischen Pendragon mochte, der wird dieses Album abfeiern wie einen Titelgewinn. So wie ich. Nicky besinnt sich auf die reiferen Tage noch einmal auf seine Traditionen, und er fährt gut damit. Die gelegentlichen Folk-Einschübe durch Zoes Violine verleihen der Musik in der ersten Hälfte des Albums zusätzlich eine gewisse Leichtigkeit und Lebensfreude. Insgesamt ein Comeback-Album, von dem ich geträumt habe. Poetisch, wunderschön und tief inspirierend.

Well done, Mr. Barrett, keep on rocking!


Line-up Pendragon:

Nick Barrett (guitar, vocals)
Clive Nolan (keyboards)
Peter Gee (bass)
Jan Vincent Velazco (drums)
Zoe Devenish (backing vocals, violin)
Julian Baker (saxophone – #8)

Tracklist "Love Over Fear":

  1. Everything
  2. Starfish And The Moon
  3. Truth And Lies
  4. 360 Degrees
  5. Soul And The Sea
  6. Eternal Light
  7. Water
  8. Whirlwind
  9. Who Really Are We?
  10. Afraid Of Everything

Gesamtspielzeit: 65:02, Erscheinungsjahr: 2020

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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