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Psychotic Apes / Same – CD-Review

Psychotic Apes / Same

Brasiliens Regenwald bildet die Heimat vieler endemischer Pflanzen. So nennt der Biologe Gewächse, die nur an einer bestimmten Stelle wachsen. Vielleicht bietet Brasilien eine solche Grundlage weitab von den Märkten der Rockmusik auch für die Entstehung besonderer autarker Klänge. Unverfälscht, eben weil weit weg vom Mainstream. Genau so könnte man Psychotik Apes verstehen, eine Band aus Natal-RN an der nordöstlichen Atlantik-Küste. Die Band, über die sich im Netz nicht allzu viel herausfinden lässt, charakterisiert sich selbst als eine Verschmelzung von Grunge, Metal, Punk und brasilianischer Musik.

Tropisch heiß wie ihre Heimat eröffnen die Apes nach einem kurzen sphärischen Soundspiel mit satten Riffs, klaren Linien, zackigen Double-Basses und hauen uns fette Bretter um die Ohren. Wer Ozzy beziehungsweise Zakk Wylde mag, liegt gleich auf den richtigen Vibes. Zunächst in "Cosmic Silence" noch instrumental und sehr metallen rockend begrüßt uns Sänger Alax (neben Gitarrist Ramiro sozusagen Gründungsvater der Band) in der zweiten Nummer "The Storm" erstmals mit stark verfremdeter Stimme. Er wird uns die Bandbreite und Vielseitigkeit seiner Stimmbänder in der Folge noch nachdrücklich präsentieren. Der Song entwickelt sich nach ein paar Heavy-Axteinschlägen zu einer cool groovenden Grunge-Geschichte. Der Bass ist schön präsent, grummelt stilgerecht nicht nur im Hintergrund. Die Gitarre punktet derweil mit einer überraschend eingängigen Melodik, während der zweite Sechssaiter präzise Kreisel rhythmischer Unterstützung reproduziert.

Spannung bauen die Psychotic Apes auch durch ihre stilübergreifenden Eröffnungen auf, "Inside The Shadow" beginnt fast Bluegrass-artig, bevor ein krachender Blues Rock mit geilen Slide-Fahrten und sogar einem kurzen Wah Wah-Einsatz eine kurze, aber sehr intime Beziehung zwischen dieser Urform unserer Musik mit den Sounds der Neunziger herbeiführt. Hey, Brasilien kannte ich bisher vor allem für guten Fußball, aber hier wird geil gerockt. Das Solo auf der Leadguitar ist purer Hard Rock. Der abrupte Schluss zitiert das sanfte Opening. Und dann ein a capella-Auftakt zu "The Shadow Inside" wie aus einer Voodoo-Zeremonie, gefolgt von einer herrlich murmelnden psychedelischen Gitarre – das Wortspiel des Titels zum Vorgänger-Song zeigt schon die Verwandtschaft, die sich im Aufbau der Nummer 1:1 widerspiegelt. Aus den fast ethnischen Sounds zu Beginn entwickeln sich harte und sehr kompakte Rocksongs, die an dieser Stelle belegen, dass die Metal-Einflüsse, hier in ein paar sehr geilen Riffs und einem schönen Solo durchaus prägnant, am Ende eher begleitenden Ausflüge darstellen. Das Herz der Musik liegt in hartem Grunge. Und wieder beschließt man die Nummer mit einem Salto-Rückwärts zu jener wunderbaren Hippie-Gitarre aus dem Reich der bedröhnenden Pilze.
Und dann "Wheel Of Fire", ein Song, den man schon lange vor dem Album als Video veröffentlichte. Aus kratzigen Rillen abgenutzten Vinyls ertönt "O Fortuna", das erste Stück aus Carl Orffs Zyklus "Carmina Burana". Hier kann ich nicht anders und muss ein Break in die Review einbauen – wer sich für Orff nicht interessiert, mag zum nächsten Absatz vorspringen.

Welche ungeheure Anziehungskraft die Musik Orffs in der populären Kultur genießt – insbesondere die "Carmina Burana", kann man in Film und Fernsehen erkennen. Stanley Kubrik wollte Carl Orff die Komposition für sein Epos "2001-Odyssee im Weltraum" überlassen, der lehnte jedoch ab, was klug war, denn wie wir alle wissen, verwendete Kubrik später nicht die durch einen anderen Komponisten (Alex North) geschaffene Musik, sondern legendäre Klassiker, allen voran "Also sprach Zarathustra" und "An der schönen blauen Donau" der nicht verwandten und eher gegensätzlichen Herren Strauss. Die geheimnisvollen Parts rund um den Monolithen wurden untermalt durch Kompositionen von György Ligeti, der zunächst von der Verwendung seiner Musik in dem Film gar nichts wusste und später erst klagen musste, bevor man ihn mit billigen 3.000 Dollar abspeiste. Fast schon ähnlich viel zahlt heute ein Web-Magazin an Strafe, wenn es ohne Erlaubnis nur ein Foto eines Dritten verwendet. Die Zeiten haben sich geändert.
Auch ich habe die "Carmina Burana" schon live erlebt, in einer großen gotischen Kirche und interpretiert durch ein Tanztheater. Ganz stark und neben der Rockmusik sehr lohnend.

Zurück zu den psychotischen Affen. Nach dem Klassiker zum Intro entwickelt sich ein dichter, dynamischer Song mit Wave-getränkten, repetitiven Gitarren, die im Kosmos des Post Rocks zuhause sein könnten, was für eine geile Kombi. Das kurze Solo wirft einen metallischen Glanz ein, nur ganz kurz und sehr dezent.
An dieser Stelle möchte ich schon einmal vorab festhalten, dass die Selbsteinschätzung der Band einer kompetenten Reflexion zu entspringen scheint. Allein den punkigen Aspekt mag ich der Musik nicht zwingend unterstellen, auch wenn man "It’s All About Puppets" ein klein wenig in diese Richtung interpretieren kann. Wichtig ist nur, dass diese Mischung nicht konstruiert wirkt, was eindeutig der Fall ist. Wir haben hier die zu Beginn beschriebene endemische Pflanze aus den Tropen, die uns auf unseren Festivals verrückt machen könnte – wenn wir denn endlich mal wieder zur Sache kommen dürften.

Meine Herren, und dann dieses geile hymnisch akustische Baladenwerk "Lovely Dirty Words". Nie zuvor gehört und es klingt doch so, als wäre es ein Ohrwurm aus großen Tagen unserer Musik. Grandios, wie die Jungs aus Brasilien mit Stimmungen spielen können. Wacken würde mitgröhlen. Erinnert Euch dieser Band, wenn das Virus besiegt ist!
Wie herrlich, dass das Album mit dem namengebenden Song "Psychotic Apes" abgeschlossen wird, er bietet nämlich eine Essenz all dessen, was wir zuvor in sehr spannenden vierzig Minuten erlebt haben. Köchelnde, originäre Percussion zum Auftakt, krachende Metal-Riffs, hypnotisch psychedelische Hooklines, die hier eindeutig den Ton angeben und die Musik sogar ein Stück weit in die Umlaufbahn heimischen Krautrocks transferieren. Kristallklare Gitarrenlinien unterbrechen diesen Trend und schneller als es mir lieb ist, wird das Ende abrupt erreicht. Sch…ade, ich hätte jetzt Bock auf noch viel mehr!

Die Chefin hatte es mir angekündigt, diese Musik ist etwas besonderes. Ich kann es nur bestätigen. Ein ungewöhnlicher Mix, verbunden mit exotischen Wurzeln ergibt ein Gebräu ganz besonderer Entfaltung. Mich hat es in seinen Bann gezogen.
Die Produktion des Albums auf Vinyl ist geplant, bislang ist ein Erwerb jedoch nur als Download möglich. Die der Redaktion zur Verfügung gestellte CD scheint lediglich zu Promotion-Zwecken erstellt worden zu sein, somit fast schon ein kleines Unikat. Es gibt viele Gründe, mich zu bedanken, mit dieser tollen Musik konfrontiert worden zu sein. Angesichts der schwierigen Corona-Lage in Brasilien und daraus folgenden miesen Aussichten für Live-Erlebnisse hat die Band angekündigt, an einer neuen EP zu arbeiten.
In dieser Band schlummert ein Rohdiamant. Was soll ich noch sagen, da bin ich dabei …


Line-up Psychotic Apes:

Ramiro Barros (guitar)
Alax Bezerra (vocals)
Tadeu Marinho (guitar)
Miguel Dorcino (bass)
Rafael Franzon (drums)

Tracklist "Psychotic Apes":

  1. Cosmic Silence
  2. The Storm
  3. Inside The Shadow
  4. The Shadow Inside
  5. Wheel Of Fortune
  6. It’s All About Puppets
  7. Lovely Dirty Words
  8. Psychotic Apes

Gesamtspielzeit: 41:17, Erscheinungsjahr: 2021

Über den Autor

Paul Pasternak

Hauptgenres: Psychedelic Rock, Stoner Rock, Blues Rock, Jam Rock, Progressive Rock, Classic Rock, Fusion

Über mich

1 Kommentar

  1. Achim

    Dankeschön für diese Rezi die mich sehr Neugierig gemacht hat. Ist wirklich seit langem Mal wieder eine Band die einen eigenen guten Stil verwirklicht, und die mir richtig die Ohren durchputzt.

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