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Rubber Tea / Infusion – CD-Review

Rubber Tea / Infusion – CD-Review

Wow, das aufgeführte Instrumentarium lässt bereits vor dem ersten Hören Spannung aufkommen. Da wurde nicht gekleckert und die akribische Aufzählung bis hin zur Kuhglocke lässt hoffen, dass die Band musikalisch genau so perfekt agiert.

Rubber Tea gründeten sich 2017 und legen nun mit Infusion ihr Debüt-Werk vor. Beim Blick auf die Webpräsenz der Band fällt auf, dass da junge, ja ganz junge Musiker zu Gange sind. Da muss es in Bremen – da kommt die Band her – eine ganz besondere Spezies junger Menschen geben, denn die Gleichaltrigen, die hier an meinem Haus vorbeifahren, haben ganz andere Sachen am Laufen. Ihr wisst schon: Bässe, dass die Tassen im Schrank wackeln und Sprechgesang, der unbedingt mit zappelnden Hand- und Armbewegungen unterstützt sein will. Jetzt aber genug der Klischees, zumal Sachen wie z.B. Public Enemys "Get Harder Than You Think" auch mir ab und an mal in die Lauscher kommen.

Wenn sich ein Label wie Sireena eine Band ins Haus holt, dann ist das eigentlich Referenz genug, um ungehört zu kaufen. Aber auch, um unbedingt zu hören und das will ich jetzt tun.

Art Rock, Prog Rock, Psychedelic sind Genres, die Rubber Tea zugeschrieben werden und das bereits erwähnte Instrumentarium lässt ebenso auf solche Musik schließen. Und ja, gleich die ersten Klänge von "On Misty Mountains" wabern süßlich in Moll aus den Lautsprechern und legen das erste Bild einer Fantasy-Landschaft in den Kopf des Hörers. Alsbald wird es rhythmisch vertrackter und eine klare weibliche Stimme, die Vanessa Gross gehört, singt Lyrics, die an Edgar Allen Poes "The City In The Sea" angelehnt sind. Weitere Adaptionen auf dem Album kommen von Heinrich Heine ("Lorelei") und E.T.A. Hoffmanns "Der Sandmann". Im Prinzip sind die acht Stücke auf "Infusion" Geschichten, die nicht nur per Text erzählt werden, vielmehr 'erzählen' auch die vielen Instrumente und besonders die schon betagten elektronischen.

Variabel in Modulation und Stil präsentiert sich Sängerin Vanessa, die in "In Weeping Waters" (die "Lorelei"-Adaption) fast mit jazzigem Timbre vorträgt. Vibrafon und Piano unterstützen die eher melancholische Nummer, und – jetzt muss ich mich wiederholen – es macht Freude solchen Output von jungen Musikern zu hören. Gleiches gilt für "The Traitor", ein Stück, auch nah an progressivem Jazz mit Gänsehaut erzeugendem Saxofon-Spiel, sphärischer Trompete und einem Songwriting vom Feinsten. Rubber Tea bewegt sich fast spielerisch und mit einer absolut professionellen Eleganz zwischen verschiedenen musikalischen Welten, die da zum einen aus etwas Jazz, zum anderen aus auch schon mal düster und drohendem Prog und zum dritten aus süßem, hochmelodischem Art Rock bestehen. Vermittlerin der Welten ist die Stimme der Sängerin. Bereist werden die Welten aber von den Jungs an den Instrumenten. Auf der Webseite der Band gibt es ein Live-Video zu "On Misty Mountains"/"In Weeping Waters". Schaut euch die Band beim Spielen an und ihr wisst, was ich meine.

Allerdings stimmt die Reduktion auf 'die Jungs' betreffend des Instrumentalen nicht ganz, denn die auch die Sängerin ist zu hören; an Saxofon und Flöte. So wie auch Lennart Hinz in "The Draught" problemlos den Nachweis erbringt, neben den Tasten auch das Micro bedienen zu können. "The Draught" ist ein Paradebeispiel, zu welch gekonnter musikalischer Dramaturgie die Songwriter fähig sind.

Auf "Infusion" passt einfach alles. Da trifft handwerklich Ausgefeiltes und Können, sprich Hirn, auf tiefgründige Lyrics und packende Musik, sprich Seele. Hirn plus Seele ergibt Emotionen. Und davon hat dieses Album jede Menge. Man kann es bewusst hören und auf die Feinheiten der Musiker achten, oder aber man schließt die Augen und tritt eine Reise durch wunderbare Welten an. Vielleicht aber ab und zu die Augen öffnen und eintauchen in das wundervolle Artwork  von David Erzmann. Schön, dass es "Infusion" auch als Vinylversion gibt. Nicht nur des dann größeren Covers wegen. Manche Musik gehört einfach auf den Plattenteller.

Ein ganz feines Debüt einer ganz jungen Band. Ein hoffentlich kommender Nachfolger wird sich weit strecken müssen.


Line-up Rubber Tea:

Vanessa Gross (vocals, alto sax, tenor sax, flute)
Lennart Hinz (vocals, Moog & Arturia synthesizers, Hammond organ, Fender Rhodes, Sequential Circuits Multi Track, Feurich grand piano, 12-string guitar, mellotron, Korg vocoder, FX pedals)
David Errzman (fretless bass, sitar, FX pedals)
Jonas Roustai (electric guitar, acoustic guitar, 12-string guitar, FX pedals)
Maik Scheling (electric guitar, FX pedals)
Henri Pink (drums, cowbell, djembe, congas, pans and pots, shaker, bells, Roland SPD-SX)

Featuring:

Christopher Olesch (vibraphone – #1,2,3)
Alex Petratos (congas, güiro – #4,8)
Jakob Rubin (alto sax solo – #4)
Trötenfreak Lasse (trumpet – #4)

Tracklist "Infusion":

  1. On Misty Mountains
  2. Downstream
  3. In Weeping Waters
  4. The Traitor
  5. Plastic Scream
  6. Storm Glass
  7. The Draught
  8. American Dream

Gesamtspielzeit: 37:41, Erscheinungsjahr: 2020

Über den Autor

Ulli Heiser

Hauptgenres: Mittlerweile alles, was mich anspricht
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