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SNAFU / Live Nottingham 1976 – LP-Review

SNAFU - "Live Nottingham 1976" - LP-Review

Im Jahr 1972 hatten gleich zwei starke englische Blues Rock-Bands mehr oder weniger wegen Erfolglosigkeit das Zeitliche gesegnet. Zum einen war für Juicy Lucy nach dem vierten Album "Pieces" Feierabend, zum anderen machte der gleiche Grund der Band Freedom den Garaus. Zumindest stieg damals deren Drummer Bobby Harrison (der auch für die erste Single-Aufnahme von "A Whiter Shade Of Pale" von Procol Harum hinter dem Schlagzeug saß) aus und widmete sich den Arbeiten zu dem, was sein erstes Soloalbum "Funkist" werden sollte. An diesen Sessions nahm auch der (damals noch) Juicy Lucy-Gitarrist Micky Moody teil und die Chemie dieser beiden Musiker war dermaßen gut, dass sie beschlossen eine gemeinsame Band zu gründen. SNAFU war geboren. Neben den bereits genannten Musikern waren hier auch Pete Solley (keyboards), Colin Gibson (bass) sowie Terry Popple (drums) mit am Start.

Die Band lief auch ganz gut an und über die nächsten paar Jahre erschienen neben dem gleichnamigen Debütalbum (1973) noch die Scheiben "Situation Normal" (1974) sowie "All Funked Up" (1975), während die Engländer durchaus erfolgreiche Touren in Europa sowie den USA im Vorprogramm von Bands wie etwa den Doobie Brothers, The Eagles, Emerson, Lake & Palmer oder WAR absolvierten. Das mir nun vorliegende Vinyl enthält Aufnahmen von einem Gig am 23. Januar 1976 im englischen Nottingham. Nach der zweiten Scheibe hatte der Tastenmann Pete Solley die Brocken hingeworfen, worauf Tim Hinkley verpflichtet wurde, der unter anderem durch seine Arbeit mit Steve Marriott ca. Mitte der siebziger Jahre bekannt sein dürfte. Sechs Tracks mit meist etwas längerer Spielzeit sind hier vertreten, wobei gleich drei davon auf keinem Studioalbum der Band vertreten waren. Für zwei davon erhielt Bobby Harrison Co-Credits für das Songwriting, sodass davon auszugehen ist, dass diese für das nächste Studio-Werk angedacht waren.

Zumindest Micky Moody war wohl ein großer Fan der Allman Brothers Band, hatte er doch bereits mit Juicy Lucy einen Song ("Midnight Rider") der Amerikaner gecovert. Den Anfang auf diesem Album macht mit "Don’t Keep Me Wondering" ebenfalls eine Nummer der Mannen um die Brüder Duane und Gregg Allman sowie Dickey Betts. SNAFU bringen diesen Track auf ihre so ganz eigene Art. Die Band groovt hier wie die Hölle und vereint dabei amerikanischen Blues sowie Rhythm’n’Blues mit einer guten Spur englischer Kantigkeit, was in der Summe eine hochinteressante Mischung ergibt. Harrison erweist sich als stimmgewaltiger Frontmann, die Rhythmusabteilung gibt eine klasse Figur ab, Hinkley an den Tasten verfeinert die ganze Chose noch und Moodys Gitarrenarbeit war qualitativ schon immer in den oberen Bereichen angesiedelt. Mitreißend dann auch "Big Legged Woman" (das von Harrison als "Long Legged Woman" angekündigt wird). Sehr intensiv gelingt es SNAFU, den Hörer gebannt bei der Stange zu halten. Die Soli der Tasten und Saiten sowie auch der expressive Gesang, gepaart mit diesem ultracoolen Groove sorgen für einen nicht zu unterschätzenden Suchtfaktor. Der Opener des Debütalbums, "Long Gone", geht zwischen diesen beiden Schlachtrössern fast ein bisschen unter, erkämpft sich nach nur wenigen Durchläufen jedoch ebenfalls seine wohlverdiente Aufmerksamkeit.

Richtig stark an "Live Nottingham 1976" ist, dass man die Power und das Adrenalin der Band fast greifbar zu spüren glaubt. Diese Jungs hatten mächtig Spaß bei der Sache und das Pendel an anspruchsvolleren bzw. straighteren Songs und Parts ist ständig in Bewegung. Sehr cool und mit massenhaft Feeling versehen kommt "Every Little Bit Hurts" (vom Album "All Funked Up"), das zunächst durch ein funky Keyboard von Tim Hinkley eingeleitet wird, bevor es sich zu einer bluesigen Ballade mit jeder Menge Biss entwickelt. Die beiden neuen Nummern "Unsettled Dust" sowie "Highway" lassen nicht im geringsten nach, vielmehr glänzt erstere mit feinen Riffs und allgemein starker Gitarrenarbeit und "Highway" macht am Schluss mit über sechs Minuten Spielzeit noch einmal so richtig Dampf im Blues Rock-Kessel. Und am Ende angekommen will man sich die Scheibe eigentlich umgehend nochmal von vorne anhören.

Während derselben Europa-Tour (mittlerweile in Deutschland angekommen) akzeptierte der Gitarrist Micky Moody das Angebot von David Coverdale, Mitglied bei Whitesnake zu werden (wo er bis zu seinem Ausstieg im Oktober 1983 blieb). Harrison versuchte SNAFU mit Hilfe des neuen Gitarristen Clem Clempson (Ex-Colosseum, Ex-Bakerloo, Ex-Humble Pie) am Leben zu halten, was aber nicht sehr lange hielt. Im Anschluss schloss er sich der sogenannten Supergroup Nobody’s Business an, die nach nur einem (wenig erfolgreichen und auch nicht gerade berauschenden) Album wieder auseinander brach.

Aber wie dem auch sei, "Live Nottingham 1976" ist ein hervorragendes Live-Vermächtnis einer sehr starken Band, die den Weg ganz nach oben leider nie schaffte.


Line-up SNAFU:

Bobby Harrison (percussion, lead vocals)
Micky Moody (guitars, mandolin, background vocals)
Tim Hinkley (keyboards, background vocals)
Colin Gibson (bass)
Terry Popple (drums & percussion)

Tracklist "Live Nottingham 1976":

Side 1:

  1. Don’t Keep Me Wondering (6:14)
  2. Long Gone (6:29)
  3. Big Legged Woman (5:02)

Side 2:

  1. Every Little Bit Hurts (6:36)
  2. Unsettled Dust (4:28)
  3. Highway (6:15)

Gesamtspielzeit: 17:49 (Side 1), 17:23 (Side 2), Erscheinungsjahr: 2018 (1976)

Über den Autor

Markus Kerren

Hauptgenres: Roots Rock, Classic Rock, Country Rock, Americana, Heavy Rock, Singer/Songwriter
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Mail: markus(at)rocktimes.de

2 Kommentare

  1. Manni

    Naja, SNAFU ist ein Akronym, das aus amerikanischem Soldaten-Slang (wohl seit WWII) stammt und bedeutet: "Situation normal, all fucked up".

    Damit ist auch der Humor und das Bewußtsein der Band um das Akronym bewiesen, wenn sie Alben als "Situation Normal" und "All Funked Up" betitelten. Bei der "Funked up" musste das c gegen ein n getauscht werden, um eine VÖ zu erreichen 😉

    1. Markus Kerren

      Hi Manni,

      stimmt natürlich. Ich kannte den Begriff bis vor kurzem gar nicht, aber nachdem ich die Albumtitel der Band bei den Recherchen für das Review gelesen habe, war’s mir eigentlich klar. Auch das mit dem ausgetauschten 'c' 🙂 Trotzdem besten Dank für die Erklärung.

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