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The Universe By Ear / Live im Rockpalast, virtueller Konzertbericht, 14.03.2020, Harmonie, Bonn

The Universe By Ear / Live im Rockpalast

Ein Konzertbericht inmitten der Corona-Krise? Da kann was nicht stimmen…
Und richtig, dieser Bericht entspricht nicht meiner unmittelbaren Live-Wahrnehmung, obgleich die Veranstaltung damals per Stream mitverfolgt werden konnte, ich beziehe mich auf einen Mitschnitt des Konzerts, den ich über den Westdeutschen Rundfunk bezogen habe.
Nichtsdestotrotz gibt es eine witzige Vorgeschichte, die zumindest meine besondere Beziehung zu dem Event erklärt und eine Besprechung allemal rechtfertigt.

Ziemlich genau vor einem Jahr hatte ich einige Exemplare der zweiten Scheibe von The Universe By Ear an einige Clubbetreiber und Booker verteilt, ein Titel, der hier übrigens für Band und Albumtitel gemeinsam steht – und zwar für beide Alben. So war es mit Pascal Grünenfelder, dem Bassmann der Band im Vorfeld abgesprochen gewesen. Da ich auch Kontaktstellen zum Deutschlandfunk und zum Rockpalast kannte, landeten auch dort zwei Scheiben unserer Baseler Protagonisten auf dem Redaktionstisch. Ob das nun letztlich im Rockpalast das Interesse an der Band geweckt hat oder am Ende völlig andere Gründe für die Besetzung maßgeblich gewesen sein mögen, das ist völlig unwesentlich, denn am Ende hat es geklappt. So oder so. Nur eines blieb mir eben verwehrt, nämlich die Teilnahme an der Veranstaltung. Das Konzert der drei Schweizer im Rahmen des Crossroads-Festivals in der Bonner Harmonie gehörte leider weltweit zu den ersten, bei denen kein Publikum mehr zugelassen wurde. So spielte die Band den Gig allein vor Kameraleuten und Redakteuren. Aber ich kann versprechen, davon merkt man in der famosen Aufzeichnung rein gar nichts. Die Jungs sind top drauf und der Spaß ist ihnen in jeder Einstellung anzusehen. Das Konzert entfaltet ungeheure Spielfreude, perfekt umgesetzt von exzellenten Einzelkönnern, die sich auf der Bühne quasi blind verstehen.

Wer noch nie Kontakt hatte mit der Band und sich fragt, was für einen Musikstil unsere Freunde aus Basel eigentlich spielen, der hat ungewollt ein echtes Problem aufgeworfen. Die Band macht es sich leicht: »Ist doch klar, wir spielen Psychedelic Brain Blues.« Alles klar?
Ich lasse es mal den Rockpalast beschreiben und zitiere aus der Bandankündigung: »The Universe By Ear sind ein Trio aus Basel, dass die Offensive wählt: Sixties-Psychedelik, Stoner- und Garagen-Rock treffen virtuos zusammen. Das Power-Trio liebt den freien Fall durch den Musikkosmos und überschreitet bewusst musikalische Grenzen. Die eigenwilligen Instrumentalisten machen auch vor Krautrock und Blues Rock nicht halt.«

Ich denke, mit dieser Definition kommt man dem Ganzen sehr nahe. Um dieses Chimären-artige Wesen The Universe By Ear zu verstehen, sollte man wissen, dass die Musiker aus den unterschiedlichsten Sparten stammen und über ihrer Experimentierfreude, aber eben auch der Liebe zu handgemachter, erdiger Musik einen gemeinsamen Nenner gefunden haben. Musik für den Kopf und den Bauch, so erklärten es die Musiker auch im Interview beim Rockpalast. Anfangs wurde die Band eher unter der Marke Progressive Rock stigmatisiert, vielleicht auch aufgrund der gemeinsamen Liebe zu King Crimson. Für die Jungs war diese Kategorisierung aber eigentlich ein Gräuel, denn abgesehen von den wirklich progressiven Songstrukturen bewegt sich die Musik häufig in abgefahrenen und Sixties beeinflussten Psychedelik-Bereichen und versprüht die Energie des Stoner- oder auch mal Blues-Rock. Stef Strittmatter hat das bei uns im Interview einst ganz witzig beschrieben, wie er die Prog-Szene sieht und warum sie dort rein gar nichts verloren haben.

Als ich die Studio-Platten kennenlernen durfte fragte ich mich oft, wie man diese ausgeklügelten Sounds mit drei Mann wohl auf die Bühne bringen kann. Man kann – und wie!

Die Setlist ist mit einem irren Spannungsbogen aufgebaut, wir werden zwischen krachenden Garagen-Rockern wie dem Auftakt "Been Here Before" und psychedelischen Sounderfahrungen ins Universum katapultiert und hin und her gewirbelt. Im Kopf entstehen Farben und Formen unbekannter Schönheit und Vielfalt. Ganz besonders trifft dies zu, wenn aus dem herrlichen und womöglich durchaus unkorrekt politisch gemeinten Titel "Where All Sheeps Are Black" mit seinem klanglichen Spektrum irgendwo zwischen Floyd und Vibravoid plötzlich ein geiles Gitarrensolo erwächst, dass so klingt, als ob Jimi Hendrix es mal mit Metal versuchen würde. Nur, um danach in die tiefsten Sphären experimenteller Musik abzudriften. "Euphoria" ist eine rhythmische Hochkonzentrationsnummer, wo zunächst wilde, abrupte Riffs mit dreistimmig schrägem Gesang und einer geilen Hookline um die Oberhand kämpfen, bis der Song ganz sanft entschleunigt in fernen Welten zu verschwinden scheint. Nicht, ohne uns mitzunehmen auf diesem aufregenden Trip.

"Ocean / Clouds" ist dagegen gleich wieder so ein Superkracher, wo aus einem riffig aggressiven Gebräu Testosteron aufgebaut wird. Eine Nummer wie ein wilder Jam, in dessen Folge Stef mit einem beeindruckenden Fingerpicking seinem Idol Robert Fripp zur Ehre gereicht. Benis hoch explosive Drums und Pascals knochentrockener Bass treiben Stef zur metallischen Ufern. Hier geht gerade unglaublich die Post ab und es ist sehr schade, dass die Headbanger in und um Bonn herum heute nicht hier dabei sein dürfen.

"Follow The Echo" dürfte die Gesangsnummer schlechthin sein im Konzert. Die wunderbar aus dem Nebel der Sechziger Jahre aufgetaucht scheinenden psychedelischen Gesänge hätten ganz frühe Pink Floyd genauso voran gebracht wie ein paar sehr stoned ertappte Beatles, was irgendwie auch auf das eingängigere "Temperamental Apathy" zutrifft.

Mit "Loudest Gorilla In The Cage" legen sie noch einen weiteren Zahn zu, diese kompakte Power-Nummer war zugleich als erster Ausschnitt im Fernsehprogramm des WDR bereits im April zu sehen, während das gesamte Konzert erst jetzt im Mai über den Äther ging. Bei dem Titel übrigens kommen in mir Assoziationen an unsere aktuelle Krisenzeit auf, wo es eine ganze Reihe von sich selbst ermächtigenden Typen zu geben scheint, die auch gerne der lauteste Gorilla im Käfig sein wollen. Oder zumindest im Fernsehen. Doch Vorsicht, ein Gorilla macht sich nicht nur zum Affen, er ist einer!

Der Song stellt eine Zäsur da im Konzertverlauf, denn von jetzt an wenden wir uns ausschließlich Nummern des ersten Albums zu und welcher Song wäre da besser geeignet als Aufmacher als "Seven Pounds", jener geilen Nummer, die einst meinen allerersten Kontakt zur Band herstellte und die in sich allein so viel von den zahlreichen Einflüssen auf die Musik von The Universe By Ear birgt wie kaum ein zweiter. Fantastisch übrigens, wie der Rockpalast gerade die psychedelische Phase während der Nummer mit einer Art Prisma-Effekt bunt und weltentrückt in Szene setzt. Die Jungs verstehen ihr Handwerk genauso wie die auf der Bühne. Ein total abgefahrener Song, der die perfekte Interaktion und Abstimmung der Musiker während dieses irren Steigerungslaufs zeigt, der zwischendrin übrigens deutlich macht, wen die Jungs gemeinsam als Inspiration bezeichnen. Den purpurnen König hab ich ja schon erwähnt.

"High On The Hynek Scale" wirkt wie eine wunderbare rhythmische Improvisation mit auf und ab treibenden Intensitäten, sehr hypnotisch und transzendental. Kein Wunder bei dem Titel, wer hoch in der Hynek Skala Erfahrungen macht, hat eine Begegnung der dritten Art – oder noch höher. "Idaho" bring noch einmal eine besonders dichte Atmosphäre, ausgehend vom schönen und ungewöhnlich melodischem Gitarrenintro, das mit dem Begriff Psychedelic Brain Blues passt hier sehr treffend. "Make It Look Like An Accident" ist ein klassischer Rausschmeißer, wo noch einmal die Felle und die Saiten fliegen.

Die Zugabe "Dead End Town" beschließt ein außergewöhnliches Konzert. Ungewöhnlich durch die Umstände, aber auch der Tatsache geschuldet, dass eine derart geile Band in unseren Breitengraden immer noch fast gänzlich unbekannt ist. The Universe By Ear wären überall dort ein Kracher, wo vintageorientierte Rockmusik gespielt wird, ob Stoner, ob Heavy, ob Psychedelic. Es liegt nur an den Bookern, sich dieses Juwel endlich zu sichern, wenn denn die Krise Musikveranstaltungen wieder zulässt. Und da kann man in unserer Szene ja durchaus optimistischer auf die Zukunft blicken wie die Veranstalter von großen Blockbuster-Events.

Das Konzert kann man über das Archiv des Rockpalasts im Internet sehen, der Stream war zuletzt auch immer noch über die Facebook-Seite der Band geschaltet. Fotos findet ihr auf der Facebook-Seite des Rockpalastes.

The Universe By Ear haben zwei geile Platten produziert, aber richtig ab gehen sie vor allem auf der Bühne. Der Rockpalast war ein würdiges Forum dafür, auch ohne Zuschauer.


Line-up The Universe By Ear:

Stef Strittmatter (guitar, vocals)
Pascal Grünenfelder (bass, vocals)
Beni Bürgin (drums, vocals)

Setlist Live At Rockpalast:

  1. Been Here Before
  2. Slam Your Head Against The Door
  3. Where All Sheep Are Black
  4. Euphoria
  5. Ocean / Clouds
  6. Follow The Echo
  7. Temperamental Apathy
  8. Loudest Gorilla In The Cage
  9. Seven Pounds
  10. High On The Hynek Scale
  11. Idaho
  12. Make It Look Like An Accident
  13. Dead End Town

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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