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The Universe By Ear / Same II – CD-Review

The Universe By Ear / Same II

Böse, böse, wer sich beizeiten einen Vorteil verschafft. Ein Interview mit einer Band zu führen, bevor man die eigenen Betrachtungen zum neuen Album veröffentlicht hat. Angeseilt und doppelt versichert in die Review? Nein, die Eindrücke über die neue Platte von The Universe By Ear, die wie schon der Erstling keinen Namen trägt, waren längst zur Niederschrift bereit und die gemeinsam geteilten Gedanken sollten lediglich die Vorfreude auf etwas wecken, was dem Freund gepflegter Psychedelic in den nächsten Tagen sehr viel Freude bereiten könnte. Wo es geboten scheint, dürfen Querverweise auf Stefan Strittmatters Hinweise aus dem genannten Gespräch somit hoffentlich gerne herangezogen werden und fallen nicht unter Wettbewerbsverzerrung.

Nennen wir das neue Baby des Universums den Zweitling auf dem Feld des Psychedelic Brain Blues. So umschreiben die Jungs ja selbst ihre Musik und geben uns damit gleich einen versteckten Hinweis, dass sie ihre Wurzeln sehr wohl in erdigen Tiefen geschlagen haben. Im Blues. Im Zusammenhang mit einer Band, die bislang eher unter dem Arbeitstitel Progressive Rock gehandelt wurde, ist das durchaus bemerkenswert. Und als ob man uns von den ersten Klängen an auf diesen Umstand hinweisen wollte, stolpern wir geradewegs in einen krachend coolen Garagenrock namens "Been Here Before", was eigentlich schon ein Widerspruch in sich darstellt. So eine fast punkige Kurznummer sucht man im Portfolio des Basler Kosmos bislang vergebens. Seem to be new here.

Vertrauensbildende Maßnahmen finden wir jedoch auch und zuhauf auf dem neuen Silberling, stilprägende Elemente des ersten Werks werden dankbar zitiert; so wie der schichtweise überlagernde Dreigesang in "Where All Sheep Are Black" mit ebenfalls vertraut klingenden, psychedelischen Linien wie aus einer Zeitmaschine mit Bezugspunkt 1966, kulminierend in einem Saiten-Gewitter aus mehreren Gitarrenläufen. Herr Eering von The Machine grüßt freundlich. Hier treibt der Brain Blues wilde Blüten, während über "Temperamental Apathy" ein schillernd bunter Klangteppich wabert. Überhaupt, diese coolen Titel. Da, wo alle Schafe schwarz sind (ich hätte da so eine Vorstellung, wo all die schwarzen Schafe herkommen – der Ort liegt mitnichten in der Schweiz), eine temperamentvolle Apathie (Lerngefahr: Wortwitz durch Kontrastierung, erinnert mich an Borat) oder eine Ode an den lautesten Gorilla im Gehege. Über die Freude am Wortwitz hat uns der Stef ja schon im Interview berichtet und die eine oder andere Kostprobe zum Besten gegeben. Kalkofe lässt grüßen. Unverkennbar sprüht die Musik von The Universe By Ear geradezu vor Lebensfreude, ein Energieschub nicht nur für die Gehörgänge des universellen Erforschers.

In "Follow The Echo" und "Fall" wird es ein wenig krautrockig und voller Freude stelle ich fest, dass sich die Harmonie des letztgenannten Songs ein wenig in alten Been Obscene-Gefilden bewegt, ein transalpiner Brückenschlag von Basel nach Salzburg. Und irgendwie auch nach Liverpool, denn die Beatles klingen in diesen herrlichen Gesängen in "Echo" auch immer ein ganz klein bisschen mit. "Fall" bemüht aber auch deutlich andere Tendenzen, wenn der Song plötzlich abtaucht in die Tiefen eines Floyd-geprägten Imperiums voll glitzernder Nuancen in einer alptraumhaften Dunkelheit. Fantastisch, welche Vielfalt an Sounds uns bislang schon geboten wurde.

Das herrlich lässig treibende "Bad Boy Boogie" mit Benis Stakkato haftem, trockenen Schlag und Pascals mächtig groovendem Bass reißt uns schnell heraus aus der geheimnisvollen Atmo und legt mit dem wohl neuesten unter den neuen Songs, "Euphoria", dem Titel gebührend nach. Das Stimmungspegel steigt in gefährliche Höhen. Noch einmal erinnern mich die rhythmischen Verspieltheiten an die bereits zitierten Been Obscene und ihr zweites Werk Night 'O' Mine. Dezente Effekte verzieren die Nummer trefflich.

Hatten wir bis hierhin schon Freude an den getakteten Verrücktheiten, so erfahren wir in "Lessons From An Ordinary World" die ultimative Steigerung, das Album erreicht hier seinen absoluten Höhepunkt. Mörderisch treibend, in mathematisch präzise wechselnden, wilden Rhythmen wird jetzt ein Höchstmaß an Konzentrationsfähigkeit bei den Musikern eingefordert. Selbst der Zuhörer muss Acht geben, nicht den Überblick in den Sprüngen und Wechseln zu verlieren.

Und wenn dann im Mittelteil über der pulsierend quellenden Gitarre der reduziert gebremste Refrain zelebriert wird, dann bekommen wir unseren Gänsehaut-Aha-Effekt. Allein dieser geile Gesang transportiert hier ganz viel Stimmung und Atmosphäre, das kommt gespenstisch gut rüber – back to the sixties.  Zuletzt wieder mit voller Power fast hymnisch auf den Punkt gebracht endet die Nummer in Kaskaden von Schlägen. So klingt das rockende Universum!

Dass nach dieser halsbrecherischen Rhythmus-Akrobatik eine Verschnaufpause angeraten scheint, leuchtet ein und nichts anderes hatte die Band im Sinn, wenn es in das meditativ hypnotisch treibende "Sand And Dust" überleitet. Dieser entspannt dahin trabende Takt erinnert ausdrücklich an Indian Camel von der Bröselmaschine, zumindest solange, bis wir in den friedfertig strömenden zweiten Teil der westernähnlichen Stimmung eindringen, der fast ein wenig Anklänge aus den ersten Stufen von Led Zeppelins Himmelstreppe erahnen lässt. Nun gut, an dieser Stelle muss ich zugeben, dass die Information von Stefan Strittmatter zur strategischen Position des Songs als entschleunigendes Moment nach einem wahrhaft wilden Ritt in der vorhergehenden Nummer hier ein ganz klein wenig auf die Sprünge geholfen hat. Dieser Aspekt wäre mir ohne das Interview wohl verborgen geblieben.

Mit "The Loudest Gorilla In The Cage" treffen wir auf eine wuchtige Soundwand, wo Pascal sicher die härtesten Basstöne des gesamten Albums zwischen Stefs riffige Hooks und Benis variantenreichen Schlag hinein brät. Hier begibt sich das Universum in die Welt der tiefen Töne des Stoner und der nun fast wieder punkige, knackig kurze Schlusspunkt um den "Transitional Hairdo" und Benis Übergangsfrisur hat Stef uns bereits im Interview erläutert:»No, it’s not gonna stay this way!«

Immer wieder schön zu erleben, wenn sich die Jungs aus der Rhein-Stadt im Verlauf des Albums zwischen den so eigenständig wie eingängigen Refrains und Strophen in stimmiger Atmosphäre meditierend und improvisierend über den jeweiligen Grundgerüsten bewegen und begegnen. Das sind die Momente der losgelösten Freiheit, von denen Stef gesprochen hat. Die Momente, wo jeder sein Ding machen darf. In "Follow The Echo" ist mir dies besonders haften geblieben, aber auch später beim lauten Gorilla gibt es so eine wunderbare Sequenz zwischen den wilden Riffs, wo sie das Tempo zurücknehmen und in einer hypnotischen Schleife über dem Thema herum kreiseln. An dieser Stelle klingt das Trio denn tatsächlich ein Stück weit wie ein Trio. Es wird interessant sein zu erleben, wie sich diese Passagen live auf der Bühne gestalten. Ich bin sicher, da werden wir manch unterschiedliche Variante zu hören bekommen. Da freue ich mich riesig drauf!

Nein, es darf nach wie vor nicht verwundern, dass angesichts des progressiven Aufbaus der Songs immer wieder Legenden wie Pink Floyd und eben King Crimson zur Erklärung herangezogen werden. Es ist jedoch das Verdienst von The Universe By Ear, bei aller Begeisterung für die Konzepte der alten Meister längst einen eigenen, auch dem härteren Gitarrenrock verpflichteten Stil herausgebildet zu haben, einen eigenständigen Sound zwischen Retro und diversen modernen Spielformen. Eben den Psychedelic Brain Blues, einer progressiv erdigen Variation aus Spielfreude, Tradition und Innovation. Und ungeheuer vielschichtig. Aus geschichtlicher Verbundenheit entwachsen und mit einem erstaunlichen Vermögen an melodischen, psychedelisch mehrstimmigen Gesängen und Harmonien, die einen hohen Wiedererkennungswert erzeugen. Irgendwo in der Nähe der Düsseldorfer von Vibravoid und sicher auch im Geiste verbunden mit Mother’s Cake aus Tirol, um auch ein paar jüngere Verwandtschaftsgrade aufzuzeigen. Dass die neue Scheibe nun bei Sireena erscheint, ist nur folgerichtig. Nicht nur, weil The Universe By Ear zuletzt mit The Electric Family vom Label-Boss Tom Redecker unterwegs waren. Kaum ein anderes Label bildet eine derart logische Verbindung von alten, fast vergessenen Scheiben (vor ein paar Jahren fand ich dort Efendi’s Garden, eine Platte, nach der ich mehr als 30 Jahre gesucht hatte) mit aktuellen Künstlern, die ihr Erbe nicht vergessen haben.

Übrigens, ist jemand bei mir, wenn ich behaupte, dass wir auf dem Cover eine dezente Berg- und Tallandschaft wahrnehmen, wenn man sie um 90 Grad dreht? Eine schräg stehende Welt, nicht im "Sand", aber im "Dust", die auf den ersten Blick aussieht wie eine wilde Welle eines aufschäumenden Meeres. Seltsam, wie sehr Farben und Formen sich verfremden, wenn sie nur ein wenig aus dem gewohnten Blickwinkel geraten. Ist aber weitgehend das gleiche Bild. Wenn das mal keine geplante Metapher ist …

2017 haben mich The Universe By Ear geflasht – und 2019 haben sie mich wieder in Gefangenschaft. Von diesem Brain Blues kann ich jedenfalls gar nicht genug kriegen. Hab ich damals schon erwähnt, dass ich nach Monkey3 eine weitere Schweizer Lieblingsband entdeckt habe?

Yes, you should go on this way!


Line-up The Universe By Ear:

Stefan Strittmatter (guitar, vocals)
Pascal Grünenfelder (bass, vocals)
Beni Bürgin (drums, vocals)

Tracklist "Same II":

  1. Been Here Before
  2. Where All Sheep Are Black
  3. Temperamental Apathy
  4. Follow The Echo
  5. Fall
  6. Bad Boy Boogie
  7. Euphoria
  8. Lessons From An Ordinary World
  9. Sand
  10. And Dust
  11. Loudest Gorilla In The Cage
  12. Transitional Hairdo

Gesamtspielzeit: 46:25, Erscheinungsjahr: 2019

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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