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Bulgogi / Juan Dissed The Cyclops Baby – CD-Review

Bulgogi / Juan Dissed The Cyclops Baby

Eigentlich ist es egal, was man getrunken hat: Startet man die CD der Amerikaner Bulgogi aus Asheville, North Carolina und hört zum ersten Mal Tims Stimme, könnte man auf die Idee kommen, Robert Plant mit Helium in Verbindung zu bringen.

Man könnte auch dem ersten Gedanken freien Lauf lassen, "Juan Dissed The Cyclops Baby" aus dem Player nehmen und ’ne schmalzige Country-Platte einwerfen. Aber erstens bezeichnet der Bandname Bulgogi ein koreanisches Fleischgericht, das über offenem Feuer zubereitet wird und somit schon mal basal stimuliert.  Zweitens kommt die Scheibe von einem Promoter, der ein Händchen für Musiker  hat, deren musikalischer Output oft so weit vom Einheitsbrei entfernt ist, dass man dem ersten  Eindruck niemals eine Chance lassen darf. Und – ganz wichtig – die Neugierde des Rezensenten, diese Platte zu entdecken.

Vorab, "Juan Dissed The Cyclops Baby" kann kriegsentscheidend sein. Entweder man beschallt den Feind so lange, bis dieser aufgibt, oder aber man verbrüdert sich, weil man nun gemeinsam der Musik frönen möchte.

Wie gesagt, ist Tims Stimme anfangs sehr gewöhnungsbedürftig. Zumal da auch dieser Gitarrenrhythmus ist, der in seiner trabenden Art an die Shadows erinnert. Dann geht es aber sehr schnell: die Stimmlage wechselt und Metalcore-artiger Brachialgesang setzt ein. Man mag es nicht glauben, dass es sich um den gleichen Sänger handelt. Musikalisch global ist "School" sehr punkorientiert. Vor meinem Auge sehe ich einen aufgeregt schnatternden Entenstall, der durch das tiefe Gebrummel des böse dreinschauenden Hofhundes immer wieder, aber nur kurz, beruhigt wird.

Die aggressiven Vocals haben in "Hymn" die Oberhand und auch die beiden Gitarren brechen aus. Breaks lassen die Shadow-Gitarre wieder erklingen und auch die Stimme schwebt in Heißluftballonhöhen. Mittlerweile lassen sich im wilden Punkgetümmel Eckpunkte finden. Typisch britischer Kinks-Sound, immer wieder diese metallischen Gitarrenlicks und –vocals, und auch das vormals wirre Punkgeschrammel erscheint bei akribischer Betrachtung nun strukturiert und ausbalanciert. Den Ausbrüchen Tims an Mikro und Gitarre setzen Bass und Schlagzeug stets die passenden Kontrapunkte. Die zweite Gitarre passt sich der ersten an, indem sie zu wildem Riffing entweder soliert oder aber rhythmisch die Licks begleitet.

Dabei kann ich mir kaum vorstellen, dass dieses dritte Album Bulgogis das erste im Vierer-Line-up ist. Den spärlichen Informationen nach, wurden die beiden Vorgänger solo aufgenommen. Das müsste meiner Meinung nach etwas total anderes gewesen sein. Wie auch immer, so ist es perfekt und wenn ich an meinen ersten Eindruck denke, wird es immer perfekter.

"The Drill" ist die letzte Station vor dem Gipfel, der für mich den Namen "Rotten" trägt. "The Drill" bietet auch leckere, klare Gitarren und eine fast Jam Rock-artige Rhythmus-Passage. Dann wieder spielt die Truppe à la Nightwish und Konsorten – ohne jedoch je deren Melodiösität zu erreichen. Tim bedient den Gesang allerdings selbst, sein Falsett und seine brutale Kellerstimme wechseln und stellenweise ist der Gillan ganz nah. Zudem ist ein stärker werdender Prog-Anteil zu vernehmen. An dieser Stelle wird mir klar, wie unverantwortlich es gewesen wäre, "Juan Dissed The Cyclops Baby" nach den ersten Takten aus dem Player zu nehmen.

Ja, "Rotten" trumpft mit herrlichen Melodien, einem Anfang der – bis auf die Stimme – an Genesis gemahnt, eine Hookline ist auszumachen, mehr als ein Hauch Psychedelic liegt in der Luft und als nach einem kurzen instrumentalen Intermezzo urplötzlich die metallische Komponente aus den Boxen quillt, dürfen wir uns zur Mickey Mouse-Stimme auch über Growls freuen. Bass und Drums bauen eine Wand und Tim röhrt sich die Seele aus dem Leib.

Nicht unterschlagen möchte ich folgendes Zitat des Promoters:

The band’s music has been described as a »twitchy, dancey, textural adventure through nightscapes, static dreams and startlingly sweet melodies.« Howling with operatic falsettos, pounding with sad giant drums and textured with incorporeal, corpse-lit guitars, "Juan Dissed The Cyclops Baby" is a soggy, serene sermon of schadenfreude for the mad children of today. The message: be free, be crazy, espouse chaos. Eat man flesh.

Auf einen Nachfolger bin ich mehr als gespannt, zumal "Juan Dissed The Cyclops Baby"  mit nur vier Tracks mehr als zu kurz ist. Diese vier Nummern drehen sich allerdings fast ununterbrochen bei mir im Player.


Line-up: Bulgogi

Galen (bass)
Ryan (guitar)
Hugh (drums)
Tim (vocals, guitar)

Tracklist "Juan Dissed The Cyclops Baby"

  1. School
  2. Hymn
  3. The Drill
  4. Rotten

Gesamtspielzeit: 24:32, Erscheinungsjahr 2016

Über den Autor

Ulli Heiser

Hauptgenres: Mittlerweile alles, was mich anspricht
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