«

»

Rückblick auf mein RockTimes-Jahr 2025: Ulli

Eigentlich müsste man ab einem gewissen Alter aufhören, neue Alben ins Haus zu holen, denn im Prinzip hat man alles schon einmal gehört, alles was man mag und braucht steht im Regal und daher macht es viel mehr Spaß, auch Neues auf anderen Gebieten zu entdecken.

Wein, gute Hopfensäfte, Kochen und überhaupt – Kulinarik will ich in meinem Fall da gerne mal in den Raum werfen. Selbstverständlich gibt es auch auf dem Teller immer mal wieder Gerichte, die sich wiederholen; weil man sie gerne isst oder gerne kocht. Bei Musik ist das irgendwie anders: Immer die gleichen Schubladen aufmachen, geht auf den Senkel. Will sagen, wenn es keine Alben, die einem noch fehlen, die klanglich verbessert (nicht verschlimmbessert) sind, oder die – Glücksfall – musikalisches Neuland, Spannung und andere Aha-Effekte bieten, dann sind mir Küche, Keller und gesammelte Musik aus meiner in Jahrzehnten gewachsenen Sammlung mehr als genug.

Aber … es kommt in der Tat vor, dass ein vorhandener Regalbewohner erneut begeistert. In diesem Jahr ist da Grobschnitt mit ihrem Album  Solar Music Live (Remix 2024) zu nennen, denn da ja bekanntlich nichts in Stein gemeißelt ist usw. Aber lest das Review am besten selbst.

Aus dem gleichen Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts  – ach was, des vergangenen Jahrtausends – kommt ein Musiker, der heuer mit zwei Büchern in meinem Jahresrückblick auftaucht: Kiev Stingl heißt der leider 2024 verstorbene Künstler und es geht um Mein Collier um deinen Hals & Briefe an Gabriella.  Wahrscheinlich werden nicht allzu viele Menschen den Stingl kennen, aber erstens irre ich mich in diesem Fall äußerst gerne und zweites wäre das ja zu heilen.

Um kurz das Kulinarische nicht zu vergessen: »Von wegen 'Paniermehl', das ist 1150er«, schrieb ich in der Rezension zur Band Discipline und ihrem Album Breadcrumbs. Zwar wird diese Detroiter Band im Web als Prog-Institution tituliert, aber es hat bis zum August 2025 gebraucht, bis sie auch mir bewiesen hat, dass man diese Prog-Rocker kennen sollte.

Eine Klasse für sich sind Giants Dwarfs And Black Holes, was sie mit ihrer Scheibe Cherrytree Stories And Other Innuendo Tales mal wieder bewiesen haben. Das trifft auch auf Win Kowa zu. Der hat zusammen mit Marlon Klein das Projekt Kowa + Klein ins Leben gerufen und mit Summertime ein Album veröffentlicht, auf dem auch seine im Juli 2024 verstorbene Frau Jennifer Kowa zu hören ist. Neu arrangiert, aber auch bis dato Unveröffentlichtes von ihr gibt es da zu hören.

Und mit den beiden Kowas, den damit verbundene Bands wie Octopus, Streetmark, Straight Shooter, The Radio, mit Marlon Klein und der Real Ax Band sowie den Dissidenten und auch mit den genannten Giants Dwarfs And Black Holes sind wir bei einem der allerfeinsten deutschen Plattenlabel gelandet, Sireena Records nämlich. Diese Label um Tom 'The Perc' Redecker feiert 2025 das 25-jährige Jubiläum und was lag da näher, als mit dem Labelchef zu sprechen?

Nochmal kurz zu Win Kowa. Es hat sich in Verbindung mit dem Album "Summertime" und der Vergangenheit um seine Frau und deren Musik ergeben, dass wir auch fernab von RockTimes miteinander kommuniziert haben und dabei sind tolle kulinarische Perlen ins Spiel gekommen, was ich hier nicht weiter vertiefen möchte. Ich erwähne das, weil meine Felder Musik, Essen und Trinken noch nie durch so schmale Raine getrennt waren. Danke Win!

Ein weiterer deutscher Künstler taucht mit Klaus Michel in meinem Rückblick auf. Sein neues Album Strange Future war – wie meistens – wieder mal ein dicker Tipp. Und mit den Mars Mushrooms bleiben wir im Land, denn die Jamrocker haben mich mit Funerals And Carnivals begeistert, weil nach anfänglicher Skepsis beim Lesen des Instrumentariums ich schon dachte, die Band hätte den Jamkosmos verlassen. Aber weit gefehlt, der Einsatz von Blas- und Streichinstrumenten ist mehr als gelungen.

Und es geht weiter mit Musik aus deutschen Landen: Mit ihrer Mischung aus Ambient, Drone und Jazz Fusion hat mich das Mönchengladbacher Byggesett Orchestra dort abgeholt, wo ich meine musikalischen Fühler noch nicht ausgestreckt hatte; noch dazu auf blauem Vinyl. Was will man mehr?

Nun, man bzw. ich will, dass es auch 2026 neue Musik zu entdecken gibt, die sich am besten abseits der ausgetragenen Pfade bewegt. Auf kulinarischem Terrain kann man eine gute selbstgemachte Erbsensuppe alle vierzehn Tage genießen und wird ihrer – im Gegensatz zu abgenudelter Musik – nicht überdrüssig. Von daher ist der Job eines Rezensenten nicht immer ein einfacher. Kleiner Tipp, es gehören ein paar Gabeln rohes Sauerkraut in eine gute Erbsensuppe und vielleicht ein paar neue Ideen in so manche Komposition.

Dass es immer wieder Musiker und Bands schaffen werden, mit ihren Ideen gute Musik am Leben zu erhalten – daran hege ich keinen Zweifel.

Beim Thema Essen und Trinken hoffe ich das ebenfalls inständig und komme zu diesem Thema auch zu zwei Begebenheiten, die mir fast die Haare zu Berge stehen ließen. Da wird an der Kasse einer namhaften Einkaufskette eine junge Frau angelernt. Da ich es klasse finde, wenn sich junge Menschen noch daran erinnern, dass man auch mit den Händen arbeiten kann, hat es mich aber schon etwas irritiert, dass sie ein Gemüse in die Hand nahm und die sie anlernende Frau fragte, was das denn sei. Ich wollte ihr des Rätsels Lösung schon zurufen, als ihrer Kollegin das »Weißkraut« über die Lippen kam. Eine andere Begebenheit passierte in einer Filiale eines sehr bekannten Discounters, bei dem ich auf der Suche nach Linsen war (dass in eine gute Linsensuppe ein Schuss Essig gehört, wisst ihr sicherlich). Also eine (sehr junge) Angestellte gefragt und ihre Gegenfrage »ähem Linsen?« ungläubig mit »ja, Tellerlinsen hätte ich gerne« beantwortete. Die Linsen habe ich dann woanders bekommen.

Und fernab der Musik ist es auch traurig, dass immer mehr Lokale schließen, weil sie einerseits den Vorschriftenirrsinn und andererseits das finanzielle Raubrittertum nicht mehr stemmen können. Letzteres trifft außerdem auch viele Menschen, die sich gerne auswärts bekochen lassen (würden).

Na ja, kochen kann ich mir selbst fast alles, was ich möchte. Bei der Musik bin ich da aber auf andere angewiesen und hoffe daher, dass es auch 2026 genug gute neue Musik auf die Ohren gibt.

In diesem Sinne, denkt an Aristoteles' »Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel richtig setzen«.

Ulli

Über den Autor

Ulli Heiser

Hauptgenres: Mittlerweile alles, was mich anspricht
Über mich
Meine Seite im Archiv
News
Mail: ulli(at)rocktimes.de

5 Kommentare

Zum Kommentar-Formular springen

  1. Manni

    Ha ha, Ulli, schöner Artikel – durchzogen von Kulinarik und Musik, tolle Idee 🙂

    Das hier hat jetzt nix mit dem einen oder anderen zu tun. Oder doch? Wie auch immer, verzeiht mir die Ausflüge…

    Lebensmittel sind die grundlegende Voraussetzung jeglicher kulinarischer Bemühungen und Ergebnisse. Und es gibt jede Menge Hohlköpfe in diesem Feld und ich bin der König dieser Leute. Ich esse gerne und gut, hab die beste Köchin im Haus, die Kochen seit vielen Jahrzehnten als Hobby betreibt und wohl wegen Erfahrung, Einfallsreichtum und Experimentierfreude für „ein paar Sterne“ gut ist.

    Ahnung hab ich aber – keine! Ich erinnere mich an ein Ereignis, das sicher 25 Jahre zurückliegt (und heutzutage wär es – zu meiner Schande – nicht anders): Den mir anvertrauten Einkaufszettel arbeitete ich so gut ab, wie es eben ging. Da stand u.a. „Chinakohl“. Yeah, easy, finde ich bei Gemüse. Problem war, dass im Kaufland das Angebot zu groß war für meinem Handicap, nicht mal zu zu wissen, wie Chinakohl überhaupt aussieht. Also die Schildchen alle gelesen. Hin und hier, nix, mehrmals die vielen Regale abgelaufen. Ok, die haben halt keinen Chinakohl. Trotz dem gerade sich breitmachendem Zeitalter der mobilen Telefonie war ich mangels entsprechendem Gerät der Außerirdische.

    Die Einsicht hieß also, das Suchen abzubrechen, aber wohl durch mein resignierendes Gesicht trat eine direkt neben mir stehende ältere Frau mit gutmütiger Miene auf den Plan.

    „Was suchen Sie denn, junger Mann?“ Na was wohl. „Chinakohl. Aber den haben sie hier nicht“. Das Grinsen meiner neuen Gesprächspartnerin wurde breiter. „Aber Sie stehen doch direkt davor“.

    Mit einem verschämten Dank nahm ich den Kohl und verschwand in der Gewissheit, zu Hause wieder zu den mir bekannteren Formaten zurückzukehren: Musik als Mp3, Ogg Vorbis, Flac, Wav, – Samplingrate in kHz, Auflösung in Bit und Bandbreite in kBit/s.

    Systemisch ist und bleibt das Kochen, das andere – mein Quatsch in Musiktechnik – wird sowieso von „KI“ oder neudeutsch „AI“ ersetzt.

    Also Cheers! Neben Essen wird auch Wein nicht einem zukünftigen digitalen Zwangsdiktat weichen müssen. Zumindest nicht so schnell, wie die neue Technik Arbeitsplätze vernichten wird.

    Aber sie werden durch die Verknüpfung der ab 2026 in der EU geltenden „digitalen ID“ in Verbindung mit den digitalen Kassen der Geschäfte wissen, was wir zu uns nehmen und entsprechend die Tarife der Krankenkassen individuell anpassen.

    Brave new world? Nee, eine schöne neue Welt wird das nicht.

    Was uns bleibt, ist unsere Musik! Das ist dann doch eine erfreuliche Gewissheit.

    1. Ulli Heiser

      Na gut, vor 25 Jahren war Chinakohl wahrscheinlich schon noch ein Exot. Ich erinnere mich an eine andere Spezies aus dieser Zeit: Rucola gab es damals auf dem Markt mit dem Hinweis des Verkäufers: >>das ist italienischer Salat<<. 🙂
      Dass das nichts anderes als die gute alte deutsche Rauke war, war wohl den meisten entfallen.

      Wie auch immer, Kraut auf der einen und Rock auf der anderen Seite – das passt. Krautrock eben 🙂
      Ich wünsche euch einen guten Appetit und einen kulinarisch wie musikalisch guten Start ins Neue Jahr

      Ulli

  2. Ulli Heiser

    Du meinst jetzt sicher das Sauerkraut in der Erbsensuppe und den Essig bei den Linsen, oder? 🙂

    Auf jeden Fall wünsche ich dir und deiner Familie einen guten Rutsch

    Beste Grüße

    Ulli & Ilka

  3. Mario

    @Rudi: Klar, das Kulinarische reicht hier praktisch der Musik die Hand. Um gleich beim Kochen zu bleiben: Eine Prise philosophischer Weisheiten ist ebenfalls dabei. Ein Klassiker:-). So entsteht ein unterhaltsamer, kurzweiliger Jahresrückblick.
    Dir ein gutes Jahr 2026. Viel Glück und gute Gesundheit.
    LG Mario

  4. Rudi

    viele wahre Worte lieber Uli! Kann da nur zustimmen…

Schreibe einen Kommentar zu Rudi Antwort abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>