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The Immediate Family / Skin In The Game – CD-Review

The Immediate Family - "Skin In The Game" - CD-Review

Ehrlich gesagt wollte ich dieses Review gar nicht schreiben. Allerdings aus einem sehr positiven Grund: Das Dilemma eines Rezensenten ist nämlich, dass – wenn eine Kritik erst mal verfasst ist – die jeweilige Platte aufgrund des neuen Stapel an CDs lange nicht mehr so oft angehört werden kann, wie in der Vorbereitungszeit. Bis die sprichwörtliche Tinte auf dem Papier sozusagen getrocknet ist. Aber mal von Anfang an: Beim Auspacken einer neuen Lieferung frischer Musik fiel mir diese CD in die Hand. The Immediate Family? Hmm, nie gehört … oh, Moment, ist das Waddy Wachtel auf dem Cover? Bei genauerer Studie des Band-Line-ups wurden die Augen dann immer größer. Waddy Wachtel und Danny Kortchmar an den Gitarren, Leland Sklar am Bass und Russ Kunkel an den Drums? Wow, da ist ja nicht mehr und nicht weniger als eine echte Elite von Session-Musiker aus dem Los Angeles der letzten ca. 55 Jahre am Start! Die Spannung war groß, als ich den Silberling in die heimische Anlage schob.

Erster Durchlauf – hmm, nichts Bahnbrechendes … uh, aber ein extem cooler Part bei "Catch You On The Other Side", richtig starker Gesang bei "Toughest Girl In Town" und, und, und … "Skin In The Game" ist das zweite Album dieser Formation und spätestens nach dem dritten Durchlauf der Scheibe war der Rezensent begeistert. Dabei lassen es diese Jungs – zumindest vordergründig – eher ruhig angehen. Wobei allerdings 'Cool' das korrektere Wort wäre. Dieses Quintett – lediglich Steven Postell (keyboards, guitars, vocals) war mir namentlich bisher nicht geläufig – haben alles drauf was man braucht. Nicht nur musikalisch mit allen Wassern gewaschen, sondern auch kompositorisch und mit genialem Spürsinn für die richtigen Arrangements gesegnet, läuft hier alles in die richtige Richtung. Sehr clever auch, dass in Form von gleich drei Lead-Sängern sogar noch zusätzliche Variabilität 'eingekauft' wurde.

Gezündet wird diese Rakete in Form von "Whole Lotta Rock’n’Roll", einem fetten Rocker, dem mit dem rauen Gesang von Waddy Wachtel (unter anderem Ex-The Everly Brothers, Ex-Linda Ronstadt, Ex-Warren Zevon, Ex-Stevie Nicks, Ex-Keith Richards & The X-pensive Winos) der sowieso schon herrlich kantigen Musik sogar noch zusätzlicher/s Schweiß und das Blut verliehen wird. Kommt Waddys Gesang ziemlich kratzig, so segelt der von Danny Kortchmar eher in mittigen Gewässern. Und weil diese Jungs ganz genau wissen was sie tun, haben sie mit Steve Postell noch einen dritten Lead-Sänger, der mit einer ziemlich hohe Stimme ausgestattet ist. Von der Grundidee also in etwa so konzipiert, wie die Gesangs-Aufteilung bei The Band, Humble Pie oder auch The Eagles. Nur anders natürlich. Und die Mischung macht’s dann und überzeugt, selbst wenn dahinter auch Kalkül stecken mag.

Am ehesten nach einer bzw. wie eine kleine Verbeugung, sprich Ehr-Erweisung an Warren Zevon (auf dessen frühen Soloalben sowohl Wachtel, Kortchmar, Sklar, als auch Kunkel gespielt haben) kommt "Party At The Graveyard" um die Ecke. Einerseits mit viel Schwung und Elan, andererseits mit diesem Zevon so eigenen schwarzen Humor ausgestattet. Die Nummer "Fragile Heart" ist mit einem Songtitel gesegnet, der erstmal wenig spannend klingt. Was man von dem Stück, erneut von Wachtel gesungen, allerdings nicht behaupten kann. Einer der Favoriten des Rezensenten! In den Texten geht beispielsweise darum, wie man das Leben überlebt, sprich alt wird ("24/7/365"), dass man sich im Beruf als Musiker auch eine verdammt dicke Haut zulegen muss ("Skin In The Game"), gescheiterte Beziehungen ("Love Suicide" oder "Looking Away"), das Gefühl komplett allein und ein Außenseiter zu sein ("Nobody Wants You") oder was es im Leben so braucht, um ständig neue Kraft und Ansporn zu bekommen, um weiterrocken zu können ("Whole Lotta Rock’n’Roll"). Und natürlich ist da auch noch eine kleine Verbeugung vor all den Musiker-Kollegen, die viel zu früh verstorben sind und schmerzlich vermisst werden ("Catch You On The Other Side").

Die Platte zeigt keine Schwächen, vielleicht können "Lost In The Shuffle" oder "Too Many Irons In The Fire" die bärenstarke Qualität der anderen Songs nicht ganz halten, aber das ist tatsächlich auch schon Jammern auf sehr hohem Niveau. Ansonsten sind "Confusion", "High Maintenance Girlfriend", das bereits erwähnte "Nobody Wants You" oder "The Toughest Girl In Town" (ein The Sparks-Cover) ebenfalls einfach nur richtig gute und mit Brillanz eingespielte Stücke.

"Skin In The Game" entwickelt sich nach nur wenigen Durchläufen zu einem wahren Monster! Wenn man so will, ist die Platte ein sprichwörtlicher Wolf im Schafspelz, der den Liebhaber grandioser Rock-Musik aufgrund eigentlich aller Prädikate, die man als Fan von diesem Stil erwartet, aufs Allerbeste bedient. Klar, die Musiker haben allesamt ein gewisses Alter erreicht, sodass man hier logischerweise kein jugendliches Adrenalin mehr geboten bekommt. Aber die gestörte Gefühlswelt eines Menschen macht auch vor dem Alter nicht halt und somit findet man hier – weil die fünf Amerikaner Vollblut-Musiker sind und den Rock’n’Roll seit über fünfzig Jahren leben – keine faden oder abgeklärten Gefühls-Duseleien, sondern nach wie vor kernige Tracks mit jeder Menge Feeling. Manchmal zornig, manchmal melancholisch, manchmal mit viel Lebensweisheit vorgetragen.

Im Prinzip ist jedes weitere Wort überflüssig, denn "Skin In The Game" von The Immediate Family muss man hören. Am besten sehr oft hören und dann immer öfter und öfter. Ein ganz, ganz fetter Tipp und bereits jetzt ein Top5-Album des Rezensenten im noch relativ jungen Jahr 2024! Ein Sahnestück!


Line-up The Immediate Family:

Waddy Wachtel (lead & rhythm guitars, background vocals, lead vocals – #1,5,6,11,14)
Danny Kortchmar (lead & rhythm guitars, background vocals, lead vocals – #2,4,8,9,12,13)
Steven Postell (keyboards, guitars, background vocals, lead vocals – #3,7,9,10)
Leland Sklar (bass)
Russ Kunkel (drums)

Tracklist "Skin In The Game":

  1. Whole Lotta Rock’n’Roll
  2. 24/7/365
  3. The Toughest Girl In Town
  4. Catch You On The Other Side
  5. Nobody Wants You
  6. Fragile Heart
  7. Confusion
  8. Party At The Graveyard
  9. Skin In The Game
  10. Love Suicide
  11. Looking Away
  12. Lost In The Shuffle
  13. Too Many Irons In The Fire
  14. High Maintenance Girlfriend

Gesamtspielzeit: 55:10, Erscheinungsjahr: 2024

Über den Autor

Markus Kerren

Hauptgenres: Roots Rock, Classic Rock, Country Rock, Americana, Heavy Rock, Singer/Songwriter
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Mail: markus(at)rocktimes.de

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