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Colour Haze / In Her Garden – CD-Review

Der Frühling kommt – und das macht Laune. Aber während draußen das Wetter ein wenig unentschlossen um sich selbst herum kreist, entwächst ein Album mit frühlingshaften Knospen, Trieben, Farben und Formen aus den sonst eher dunklen Erdablagerungen des Stoner-Rocks. Colour Haze führen uns "In Her Garden" und ich kann nur ein begeistertes »Hereinspaziert« dazu geben.

Woody Allen sagt man nach, als Regisseur ein besonders gutes Händchen für weibliche Rollen zu haben – kein Wunder, hat er doch viele weibliche Haupt- und Nebenrollen zu Oscar-Weihen geführt. Irgendwie scheint es mir bei Colour Haze ein wenig ähnlich. Immer dann, wenn sie sich dem Weiblichen widmen, wie einst schon in "She Said", an das "In Her Garden" stilistisch anzuknüpft, dann scheinen sie am Besten zu sein. »And The Oscar goes to…«
Dabei spielt es keine Rolle, wer nun immer die angebetete Besondere ist. Ist es das göttlich Weibliche im Allgemeinen, sind es am Ende die eigenen besseren Hälften? Völlig egal, wenn letztlich eine solch geile Musik dabei heraus kommt!

Auf diesem Album klingen Colour Haze vor allem nach Colour Haze, und zwar mit all ihren unbestreitbaren, genialen Momenten. Ihr letztes Album hatte da aus meiner Sicht eine etwas andere Orientierung und ich bin froh, dass die Band zu ihren prägnantesten Ausprägungen zurückgekehrt ist. Die Gesangsparts treten dezent in die zweite Reihe zurück, Colour Haze waren und sind schon immer in erster Linie eine großartige Instrumentalband gewesen, die von langen wilden Improvisationen lebt.

Wunderschön Jimi-like akkordet uns Stefan durch das Intro in den ersten Song. Harte Riffs und darüber spartanische Saiten-Harmonien, ja genau, das ist Colour Haze aus meinen Träumen.

Das Gesamtkonzept der neuen Scheibe ist bunt und betörend, ein Album wie ein Besuch im Kräutergarten eines Österreichischen Bauernhauses (sehr zu empfehlen). Die herrlich naive, naturbehaftete Cover-Arbeit vom Bassmann Philipp Rasthofer passt tatsächlich perfekt in dieses Konzept.
Colour Haze sind ein Stück weit heimisch geworden.
Passt schon, wenn eine Band, die anerkannt der Hippieszene stets nahe war, auf ihrem Album die Umwelt in den Vordergrund stellt – und zwar fern von Parteien und schwülstigem Geschwätz – nein, sie tauchen ein, leben und vertonen das, was dem Menschen am Nächsten sein sollte. Und sie verbinden es mit dem, was die Band immer am Besten konnte: Unglaubliche Soli, hinreißende Rhythmen und die vielleicht härtesten Bässe des Universums.
Doch was soll ich sagen, es gibt auch Momente auf diesem Album, wo Philipp den Bass so zart und luftig bedient, dass der Flug des "Albatross" von Fleetwood Mac plötzlich präsent wird. Knallharte Rockmusik mit sanften Attituden, was will man mehr? Vielseitiger haben wir die Band noch nicht erlebt.

In "Arbores" (Bäume) grollen Colour Haze wie aus einem Inferno umzingelnder Gewitter. Die Wucht und Macht aggressiv dunkler Riffs in künstlerisch vertrackten Rhythmen wird aus allen möglichen Richtungen befeuert, wie ein Sturm, der durch das kräftige Geäst tiefer Wälder braust. Diverse Saitenlinien wurden offenbar hierzu parallel geschnitten und vermitteln in ihrer Überschneidung eine ungeheure Tiefe. Die Tiefe des Waldes?

Ein erstes schönes Zwischenspiel, völlig untypisch auf Blasinstrumenten geheimnisvoll eingestreut, weckt Erinnerungen an ein besonders aufregendes Projekt der Kerber Brothers und ihrer Alpenfusion, auf die ich in Bayern mal gestoßen bin. Fusion auf Alphorn und Posaune, geht das? Ich verspreche, das geht – sehr gut sogar.

Kurzer Exkurs zu dem rätselhaften Titel der kleinen Interludes. Die heißen "sdg" 1 bis 3, doch alles, was Herr Google zu dieser Abkürzung findet, ist ein Begriff für Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, nämlich ’sustainable develope goals'. Nun, wer sein Album der Schönheit unserer Natur widmet und damit aufmacht, der wird gemeinnützig humanoiden Zielen wie der Abschaffung von Hunger und Armut und eben auch dem Erhalt der Umwelt ganz sicher nahe sein. Recht so! Schön, dass die Familienväter Colour Haze eine solche Botschaft in die Rockgemeinde senden, unsere Erde ächzt längst aus allen Fugen und braucht einen verantwortungsvollen Umgang mit ihr.

Aber dann ist auch wieder  Schluss mit sanften Zwischenspielen, in "Islands" erwartet uns eine Eruption aus den Tiefen unseres Bewusstseins, wir erleben die Geburt einer Insel, die sich aus einem treibend brodelnden Lavastrom nährt, der scheinbar eine Menge guter Geister in sich trägt. Wilde Exkursionen eines Frank Zappa treffen fein zirkulierende Improvisationen des Herrn Hendrix und vor allem speisen unsere drei Münchner diesen Fluss aus Energie und Materie mit Zitaten ihres eigenen Meisterwerks "Transformation". Genau das sind die Nummern, für die ich Colour Haze immer geliebt habe. Leidenschaftliche Improvisation mit tiefen Bezügen zur Geschichte harter Rockmusik. So haben sie sich einst an die Spitze des Undergrounds und der Stonerszene gespielt. Und dann fällt mir auf, dass es wohl kaum einen Song in der Geschichte der Rockmusik zu geben scheint, der so häufig thematisiert und reflektiert worden ist wie Jimi’s "Third Stone From The Sun". Auch Stefan scheint in "Islands" ein wenig über diesen Klassiker zu meditieren. Jimi hat eben auch ihn geprägt, damals, als er seine erste Gitarre geschenkt bekam – wen nicht?

Ohne ein paar Worte über "Lotus" komme ich denn auch nicht hinweg. Ein Titel, der einst Santanas größte Platte beschrieb, hat hier aber keinerlei Verwandtschaft. Statt dessen helfen in einem sphärisch, naturalistischen Gepräge ein paar Streicher zu einer fröhlich, bunten Atmosphäre, die sinnbildlich für einen Spaziergang durch die Gartenpracht herhalten könnte – ein echtes Break und ein völlig anderer Sound, wie er zuletzt in ähnlicher Weise in "Grace" zu hören war.

Perfekt versteht es diese Band von ausnahmslosen Ausnahmekönnern zwischen reflexiven kurzen Einspielungen zu immer neuen Höhepunkten zu wandern. So, wie ein Schmetterling von einer Blüte zur anderen taumelt. Nur hier sind wir der Flattermann und Colour Haze bieten uns die benötigten Formen und Farben, wo wir landen können. Die Songs wuchern aus den sonst so düsteren Wüstenböden in ungeahnt bunte und flächige Knospen mit jederzeit kontaktbereiten, ausgreifenden Fingern und Fühlern. Aus einem guten Humus entwächst ein farbenfroher Fänger, der uns am Ende ganz persönlich bei der Hand nehmen und in einem ausufernden Tanz mit einer im Wind spielenden Figur hinaus treiben möchte.

"Skydance" heißt dieser letzte Song und der alte Colour Haze Fan erkennt erfreut den Stoff, der ihn mehr als zwanzig Jahre lang auf Kurs gehalten hat. Die Jungs geben noch einmal Vollgas und versuchen uns, mit ihren kreiselnd psychedelischen Verwirbelungen einzufangen. Der Ton am Ende dieser Reise wird härter – wir haben es hier schließlich mit Europas wohl meist anerkannter, virtuoser Stonerband zu tun. Riffs und tiefe Bässe fliegen wie in einem stürmischen Universum, wir wirbeln und treiben, tanzen mit den Wolken.
Dieser "Skydance" ist atemraubend.

"In Her Garden" kann als ein neues Meisterwerk der Altmeister Colour Haze gesehen werden. Ein Album, das alles bietet, wofür die Band seit so vielen Jahren mit ihrem Namen steht. Knallharte, tiefstimmige Saitenexzesse, diesmal aber auf einem fast beschwingten Fundament und mit einer herrlich entspannten Lockerheit in Szene gesetzt. Die vielen klanglichen Experimente, allein durch Verwendung zusätzlicher klassischer Instrumente, sowie die konzeptionelle Vielfalt der unterschiedlichen Kompositionen verleihen dem Album einen nicht zu verkennenden, progressiven Touch.

In Bayern gedeihen eben nicht nur besonders aufregende botanische Gewächse, auf dem Gebiet der psychedelischen Stonermusik liegt München ganz weit vorn. Colour Haze sei es gedankt.


 

Line-up Colour Haze:

Stefan Kogleg (guitar, vocals)
Philipp Rasthofer (bass)
Manfred Merwald (drums)
Additional Musicians:
Jan Faszbender (keyboards)
Robert Schoosleitner (percussion)
Mario Oberpuchner (Sitar)
Jost-H Hecker (Cello # 10)
Evi Heglmaier (viola # 10)
Blerim Haxha (violin # 10)
Markus Münch (violin # 10)
Ulrich Wagenheim (bass clarinete # 9)
Mathias Götz (trombone # 9)
Jutta Heeß (tuba # 9)

Tracklist "In Her Garden":

  1. Into Her Garden
  2. Black Lilly
  3. Magnoliy
  4. Arbores
  5. sdg I
  6. Lavatera
  7. islands
  8. sdg II
  9. Labyrinthe
  10. Lotus
  11. sdg III
  12. Skydancer
  13. Skydance

Gesamtspielzeit: 72:55, Erscheinungsjahr: 2017

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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