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Motörhead / Another Perfect Day – 40th Anniversary Deluxe Edition – 2CD-Review

Motörhead - "Another Perfect Day - 40th Anniversary Deluxe Edition" - 2CD-Review

Wow, damit hatte niemand gerechnet! Selbst im direkten Fan-Kreis von Motörhead schlug Mitte 1982 die Nachricht wie eine Bombe ein, dass der Gitarrist 'Fast' Eddie Clarke die Band mitten in der US-Tour zum Album Iron Fist verlassen hatte. Unfrieden hatte es bereits bei den Aufnahmen zu besagter Platte gegeben, für die Clarke auch als Produzent fungierte. Auf die Spitze getrieben wurde der Konflikt bei den Aufnahmen zur Lemmy & Wendy O’Williams-Single "Stand By Your Man", für die der gute Eddie ebenfalls hinter dem Mischpult saß. Noch überraschender als der (je nachdem, wen man fragt) Rauswurf kam für die Fans allerdings die Wahl des neuen Gitarristen, bei dem es sich um niemand geringeren als den Ex-Thin Lizzy– und Ex-Wild Horses-Saitenhexers Brian Robertson handelte. Speziell die Frage, ob ein qualitativ so hochwertiger und brillanter Musiker in die Combo passt, warf doch einige Skepsis auf. Auch intern der Band kam es gleich mal zu Schwierigkeiten, da Robertson keinen Hehl daraus, machte, dass er gar nicht erst daran dachte, ältere Band-Klassiker wie "Bomber", "Overkill" oder Ace Of Spades zu zocken. Aber zunächst musste mal die Tour-Verpflichtung erfüllt werden (was auch geschah) und 1983 ging es dann ins Studio, um den Nachfolger von "Iron Fist" einzuspielen.

Fand das Anfang Juni 1983 veröffentlichte Album zunächst eher wenige Freunde bei den Anhängern der Band, so darf man heute zweifelsfrei von einem Klassiker sprechen. Nicht nur, dass Tracks wie etwa "Shine", "I Got Mine", "Rock It" oder einer der absolut besten Songs der Motörhead-Karriere, nämlich "Dancing On Your Grave", mit sowohl ungezügelter Power, als auch grandioser Einspielung schlichtweg die Haare nach hinten föhnen, auch das Gesamt-Paket inklusive der sogenannten 'Deep Tracks', also den nicht so bekannten Nummern, stimmt hier von vorne bis hinten. Beispielsweise der Opener "Back At The Funny Farm" ("Zurück im Irrenhaus", Anm. d. Verfassers), bei dem zunächst ein bisschen Atmosphäre aufgebaut wird. Ein paar Worte von Mr. Kilmister, bevor dann der mächtige und alles niederwalzende Lemmy-Bass loslegt und schließlich die komplette Band aber mal so richtig Feuer in die Hütte bringt. Wow, was für ein Opener. Mit den bereits erwähnten "Shine", "Dancing On Your Grave" (mit überragender Gitarrenarbeit) sowie "Rock It" folgen gleich drei Hämmer nacheinander und bis heute kann man sich kaum an 'Robbo' Robertsons Gitarrenspiel satt hören. Um mal die Klassiker abzuschließen, sei hier auch noch das mitreissende "I Got Mine" erwähnt, das von einem coolen Gitarren-Riff eingeleitet und unglaublich melodisch wie auch powervoll ins Ziel gebracht wird. Grandios!

Der 'langsame' Song des Albums ist "One Track Mind", der seine Magie durch eine dem seinem Titel ("Einseitig, nur in eine Richtung denkend") entsprechende repetitiv-schleppende Art entfaltet, die jedoch – alleine schon durch die starke und Akzente setzende Gitarre – nie langweilig wird. Nicht nur zum Durchpusten, sondern unbedingt auch zum Genießen geeignet. Ein leider etwas in Vergessenheit geratenes Stück, ist die am meisten an die 'Fast' EddieMotörhead erinnernde Nummer "Tales Of Glory", die einfach nur mitreisst. Der sehr bluesig beginnende Titeltrack – von Lemmy auf der Bühne scherzhaft gerne auch als "Another Perfect Hangover" angekündigt – ist zwar nicht der stärkste der Platte, macht aber ebenso viel Spaß wie die restlichen Songs. Das die Original-Scheibe abschließende "Die You Bastard" wirft dann nach etwas 'komischem' Start nochmal alles an Power, Melodiösität, Aggressivität und schlicht und ergreifend gutem Songwriting in den Ring, was die Band damals zu bieten hatte.

Die Bonus Tracks zum vierzigsten Geburtstag sind relativ schnell vorgestellt, denn zum einen gibt es zwei Live-Tracks in Form von "(I’m Your) Hoochie Coochie Man" sowie "(Don’t Need) Religion", dazu drei Album-Tracks in frühen Entwicklungsstadien. Dabei handelt es sich um die seinerzeit noch mit anderen Titeln, Arrangements und teilweise unterschiedlichen Texten versehenen "Shine" (alias "Climber" plus eine Instrumental-Version des Stücks), "Chinese" (alias "One Track Mind") sowie "Fast One" (alias "Die You Bastard"). Das absolute Sahnehäubchen der Bonus Tracks ist allerdings die als Single-B-Seite zu "I Got Mine" verwendete Nummer "Turn You Round Again", die perfekt auch auf’s Album gepasst hätte. Wohl dem, der Stücke solcher Qualität für aus seinem Album ausgekoppelten B-Seiten in der Hinterhand hat.

Auf CD 2 dieser Deluxe-Ausgabe von "Another Perfect Day" ist ein Konzert der anschließenden England-Tour vom 22.06.1983 in Hull verewigt. Da 'Robbo' immer noch keinen Bock auf die Motörhead-Klassiker hatte, wurden hier acht der zehn Tracks des aktuellen Albums (lediglich "I Got Mine" sowie "Die You Bastard" fehlen) gezockt. Da dies nicht abendfüllend war, griff das Trio zusätzlich auf einen Blues-Standard ("Hoochie Coochie Man"), drei Stücke von "Ace Of Spades" und vier von "Iron Fist" zurück. Die größte Überraschung ist, dass selbst zu diesem Zeitpunkt noch der ganz frühe, vom ersten Album stammende, Track "Iron Horse (Born To Lose)" am Start war. Der Sound ist durchaus zufriedenstellend und Robertson bewies, dass er die Motörhead-Songs auch auf der Bühne umsetzen konnte. Und selbst wenn es über die Jahre immer wieder mal Konzert-Aufnahmen dieser Besetzung zu erwerben gab, so ist das bisher unveröffentlichte Konzert aus dem nordenglischen Hull eine tolle Abrundung und ein Zugewinn dieser Neuauflage.

Der gute Lemmy mochte "Another Perfect Day" anfangs überhaupt nicht und sprach darüber gerne auch spöttelnd als »Robbo’s Soloalbum…«. Gerechterweise muss aber auch gesagt werden, dass Robertson deutlich mehr Zeit im Studio verbrachte und an den Songs feilte, während der in jener Zeit die Aufnahmestudios überhaupt nicht mögende Lemmy es in den frühen Achtzigern vorzog, jede mögliche Minute im Pub zu verbringen. Über die Jahre änderte Mr. Kilmister seine Meinung allerdings grundsätzlich und liebte die Platte geradezu. Auch bei den Fans kam es anfangs zu sehr gemischten Reaktionen, wobei der Rezensent die Scheibe – bis auf die Tatsache, dass man hier zeitweise die übereinandergelegten Gitarrenspuren deutlich raushört, während bei 'Fast' Eddie alles wie aus einem Guss klang – aufgrund der starken Songs von Anfang an mochte.

Nimmt man "Another Perfect Day" heute noch einmal unter die Lupe, so kommt man nicht umhin, das Album als absoluten Klassiker und ein Highlight im Back-Katalog der Band zu werten. Der einzig etwas schwächere Track des Original-Albums ist "Marching Off To War" und wenn man diesen durch die bärenstarke Single-B-Seite "Turn You Round Again" ersetzt hätte, würden wir es mit einem perfekten Werk zu tun haben. Aber auch so ist "Another Perfect Day" unverzichtbar!

Das ständig angespannte Verhältnis zwischen Lemmy und Brian 'Robbo' Robertson entlud sich schließlich Ende 1983 mit dem Rauswurf des Gitarristen. Nicht sehr viel später folgte im Phil Taylor freiwillig und Lemmy sah sich Anfang 1984 gezwungen, mit einer komplett neuen Besetzung ein neues Kapitel der Band-Historie einzuläuten. Aber das ist wieder eine andere Geschichte…


Line-up Motörhead:

Lemmy Kilmister (bass, vocals)
Brian Robertson (guitars)
Phil 'Philthy Animal' Taylor (drums)

Tracklist:

CD 1 – "Another Perfect Day":

  1. Back At The Funny Farm
  2. Shine
  3. Dancing On Your Grave
  4. Rock It
  5. One Track Mind
  6. Another Perfect Day
  7. Marching Off To War
  8. I Got Mine
  9. Tales Of Glory
  10. Die You Bastard
  11. Turn You Round Again (single b-side)
  12. Hoochie Coochie Man (live, single b-side)
  13. [Don’t Need] Religion (live, single b-side)
  14. Climber (early version of Shine)
  15. Chinese (early version of One Track Mind)
  16. Fast One (early version of Die You Bastard)
  17. Climber (instrumental, early version of Shine)

CD 2 – "Live At Hull City Hall, 22.06.1983":

  1. Back At The Funny Farm
  2. Tales Of Glory
  3. Heart Of Stone
  4. Shoot You In The Back
  5. Marching Off To War
  6. Iron Horse (Born To Lose)
  7. Another Perfect Day
  8. (I’m Your) Hoochie Coochie Man
  9. (Don’t Need) Religion
  10. One Track Mind
  11. Go To Hell
  12. America
  13. Shine
  14. Dancing On Your Grave
  15. Rock It
  16. Bite The Bullet
  17. The Chase Is Better Than The Catch

Erscheinungsjahr: 2023 (1983), Gesamtspielzeit: 73:56 (CD 1), 77:48 (CD 2)

Über den Autor

Markus Kerren

Hauptgenres: Roots Rock, Classic Rock, Country Rock, Americana, Heavy Rock, Singer/Songwriter
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Mail: markus(at)rocktimes.de

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