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The Damn Truth / Devilish Folk – CD-Review

The Damn Truth / Devilish Folk

Oh wow. Wenn Kritiker angesichts einer hierzulande noch nicht allzu bekannten Band und ihrer durchaus sehr charismatischen Lead-Sängerin sowohl Vergleiche zwischen Janis Joplin und Robert Plant bzw. Elin Larsson von den Blues Pills herbeizaubern, dann muss da irgendetwas Faszinierendes im Spiel sein. Ganz zu schweigen von der lässigen Zeitspanne über mindestens fünf Dekaden Rockmusik, die die genannten Reminiszenzen umspannen.

Ganz nebenbei darf ich mal erwähnen, dass die vor einigen Tagen vorgelegte Platte, die zweite im Repertoire der Band, ihren Release bereits in 2016 feiern durfte. Da schau ich mir den Briefumschlag lieber noch einmal genauer an – und der kommt direkt aus Winnipeg in Kanada zu uns. Hier wandert eine Zeitreise geradewegs auf meinen Schreibtisch und sie verlockt mich mit einem Sammelsurium aus historischen Zeitbezügen und höchst aktueller Rockmusik. Ein krachend virtuoser Ausflug zwischen Jung und Alt, na da fahre ich doch gern mit im Zug zwischen den Generationen.

Hatte hier irgendwer die Blues Pills als Referenz zitiert? "White Lies" liefert perfekt dazu ab, Respekt. Geil, wie der referenzielle Bass und die düster dröhnende Gitarre rund herum um Sängerin Lee-La Baum um Bedeutung buhlen, gemeinsam wirbeln sie in einschlägigem Refrain. Der Anachronismus des kontrastierenden rhythmischen Zwischenparts lässt den Song explodieren. Kurz, knapp und aufs Maul. Ein probates Prinzip, wie es "Pirates & Politicians" im nächsten Song aufnimmt. Piraten und Politiker, wo der Unterschied liegt zwischen den genannten Gruppen im Songtitel? Keine Ahnung, gibt es einen? Und dieser 'clap-your-hands'-Rhythmuspart weckt Erinnerungen an T. Rex oder The Sweet. Glam Rock steht aber nicht auf dem Programm, eine gewisse Massentauglichkeit an dieser Stelle hingegen schon.

Zeitgemäßer Indie Rock trifft klassische Siebziger-Jahre-Sounds. Fuzzige Gitarren befeuern einen heftigen Bass und zitieren bluesige Sequenzen, doch das Epizentrum des musikalischen Bebens liegt in der wirklich gewaltigen Stimme von Frontfrau Lee-La Baum, die bereits einen Werbespot für Yves Saint Laurent zu großer Popularität führte. Die Band versteht durchaus, einen aufregenden Spannungsbogen zu führen. Akustische Gitarren wie in dem intensiven "Alex" mit zurückgenommenen Parts sorgen für Abwechslung, nur um in "Heart Is Cold" gleich wieder die Daumenschrauben anzuziehen. Ein wirklich geiler Bass zieht uns im Wettstreit mit einer herrlich schmutzigen Gitarre durch die kanadische Gülle. Nein, diese Songs sind nicht gedacht für den Konfirmationsunterricht.

Ein überraschendes Zitat finden wir in "Hanging On", wenn der instrumentale Zwischenpart plötzlich ganz tief in den Anfängen von U2 stöbert, während die nächste Nummer gleich zu Beginn ein paar Riffs aus der Trickkiste von Black Sabbath zu generieren scheint. Der Song selbst, "Leave It In The Dark", folgt allerdings gemäßigteren Pfaden und vermittelt ein wenig psychedelischen Geist, vornehmlich befeuert von Tom Shemers geil verzerrter Gitarre.

Mein absoluter Höhepunkt wartet am Ende des Albums. Der Titelsong, der zu Beginn ein ganz klein wenig wie eine moderne Adaption des A Horse With No Name startet, wartet mit einem beeindruckenden Text auf; in Verbindung mit dem dazu gehörigen Video über einen jungen Menschen aus der Drogenszene Montreals, der am Ende sein Leben verliert, gewinnt diese Achterbahnfahrt der Emotionen ungeheuer an Tiefe. Die musikalische Umsetzung dazu findet man wieder in der sich ekstatisch steigernden Gitarre, den kontrastierenden Polarisierungen zwischen Lee-Las dramatisch aufschäumender Stimme und den jugendlich unschuldigen Background-Gesängen – eine absolut perfekte Inszenierung eines intensiven Werks moderner Rockmusik mit sehr viel Herz und Verstand.
Aus dieser Nummer geht niemand unberührt heraus. "Devilish Folk" gibt uns jede Menge Zündstoff, über unsere Welt nachzudenken.

Wer in der modernen Rockmusik mitunter die Einflüsse der klassischen Epochen unserer Kultur vermisst, der darf sich freuen auf dieses Album, das spielend den Spagat zwischen heutiger alternativer Rockmusik und den Helden der Vergangenheit bewältigt. Und dort, wo typische Vintage-Bands eher den Hang verspüren, schlichtweg die alten Sounds nach zu spielen, haben The Damn Truth einen perfekten Plan, wie man diese in moderne Konzepte einbringen kann.
"Devilish Folk" ist teuflisch gut.


Line-up The Damn Truth:

Lee-La Baum (vocals, rhythm guitar)
Tom Shemer (guitar, organ, mellotron)
Dave Traina (drums, percussion)
David Massé (bass, backing vocals)
Jean Massicotte (organ, synthesizer, mellotron, piano)
Jules Pampena (percussion)
Mario Telaro (drums – #2)
Bruce Cameron (organ – #2)
Michael Di Re (vocals – #12)
Derek Orsi (vocals – #12)
Erin Elizabeth Hibberd (vocals – #12)
Samuel Bonneau Varvalfy (vocals – #12)
Michelle Bensimon (vocals – #12)

Tracklist "Devilish Folk":

  1. White Lies
  2. Pirates & Politicians
  3. Plastic Flowers
  4. Wouldn’t Be Lying
  5. Broken Blues
  6. Alex
  7. Heart Is Cold
  8. Get With You
  9. The Match
  10. Hanging On
  11. Leave It In The Dark
  12. Devilish Folk

Gesamtspielzeit: 48:18, Erscheinungsjahr: 2016

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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