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Smooth Motion / Boogie Inside – Handle With Care – CD-Review

Smooth Motion / Boogie Inside – Handle With Care

Unentdecktes Vergangenheitskleinod der Gegenwart

76 monatliche Hörer*innen auf einer nicht unbekannten schwedischen Streaming-Plattform, 195 Abonnent(en)innen auf dem bandeigenen YouTube-Kanal … noch mehr musikalische Outsider-Credibility dürfte kaum möglich sein. Dabei ist das Quartett aus der Bretagne bereits seit zehn Jahren aktiv und veröffentlichte im Spätsommer mit "Boogie Inside" ihr mittlerweile drittes Langeisen. Vielleicht liegt es an einer gewissen musikalischen Inkohärenz? Zunächst frönten sie dem rohen Garagen-Sound, gingen dann in progressivere Polter-Psychedelic-Gefilde über, um schließlich vermeintlich beim Boogie Rock zu landen. Das sind alles musikalische Spielarten, wofür – bei allem Respekt – französische Musiker*innen nur bedingt in Verbindung zu bringen sind.
Allerdings gibt es immerhin einen verbindenden Faden: Alles retro, oder was? Doch die Retroschiene ist längst neben Nordamerika eher vom europäischen Norden dominiert, als dass hier das Land der Chansons eine Geige spielen würde.

Schwierige Ausgangsbedingungen, die das Brüderpaar Camille und Colin Goellaen an Orgel und Schlagwerk zusammen mit ihren Freunden François Martin und Louis Keromest vorfinden … und doch manifestiert sich mit "Boogie Inside" ein gewaltiger Fortschritt im Wirken des furchtlosen Quartetts, welches bisher deutlich weniger fokussiert und ungelenker unterwegs war.

Speziell Camille Goellaen tobt sich sehr prominent wie effektvoll an den Tasten aus und demonstriert eindrucksvoll, dass der Boogie Rock nicht automatisch nach Status Quo klingen muss. Es gelingt der Band in Teilen ein geradezu federnder Balanceakt zwischen dem obskuren Underground der bluesigen Rockmusik der End-1960er Jahre und Monolithen wie Deep Purple vor ihrem Durchbruch als Hard Rock-Ikonen. Ganz zum Schluss lassen sie gar wie selbstverständlich die Stones jener fernen Tage in der programmatischen Nummer "We Don’t Know Nothing (But Rock’n’Roll)" hochleben und profitieren nicht zum ersten Mal von der weisen Entscheidung, im Gegensatz zu früher häufiger Backing-Vocals aller Bandmitglieder mit einfließen zu lassen. Der Saitenquäler François Martin, ebenfalls deutlich eloquenter als in der Vergangenheit unterwegs, ist nämlich streng betrachtet als Sänger besser in einer Punkband aufgehoben und so ziemlich das genaue Gegenteil eines … sagen wir … Ian Gillan. Doch was beim Vorgängeralbum "Fuzzy Stew" (2016) noch höchst enervierendes Gekreische war, lenkt er jetzt im Rahmen seiner Möglichkeiten in geordnete Bahnen, ohne seinen ansteckenden Enthusiasmus zu verlieren. Auch sein sehr französisch klingendes Englisch trägt zum Charme dieser Veröffentlichung bei.

Nicht zuletzt darf konstatiert werden, dass die Band ihren instrumentalen Anteil in den Songs zum Vorteil des Ergebnisses erhöht hat und ein signifikant höheres Spielniveau als in der Vergangenheit erreicht. Gepaart mit einem wesentlich konsistenteren Songwriting ergibt "Boogie Inside" ein geheimnisvolles Kleinod im Kosmos des Retro Rock-Genres, welches ob seiner erstaunlichen Authentizität gerne entdeckt werden darf.

Fazit: Der Untertitel des Albums lautet "Handle With Care" – aus Sicht des Rezensenten etwas unglücklich gewählt, denn die äußerst magere Reichweite, die offensichtlich bisher erzielt wurde, steht in keinem Verhältnis zum äußerst gelungenen Nischenprodukt, welches sich gegenüber Original-Kapriziosen von vor über 50 Jahren nicht verstecken muss. Geheimtipp!


Line-up Smooth Motion:

Camille Goellaen (organ, backing vocals)
François Martin (guitars, lead vocals)
Louis Keromest (bass, backing vocals)
Colin Goellaen (drums, percussions, backing vocals)

Tracklist "Boogie Inside – Handle With Care":

  1. Boogie Duck (5:35)
  2. Atomic Boogie (4:12)
  3. Won’t You Boogie With Me (4:09)
  4. Love You For A Night (5:07)
  5. Nobody’s Boogie (But My Slide) (4:58)
  6. Tired And Unwilling (5:03)
  7. Hemp Street Boogie (3:52)
  8. We Don’t Know Nothing (But Rock’n’Roll (3:53)

Gesamtspielzeit: 36:48, Erscheinungsjahr: 2021

Über den Autor

Olaf 'Olli' Oetken

Beiträge im Archiv
Hauptgenres (Hard Rock, Southern Rock, Country Rock, AOR, Progressive Rock)

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