«

»

Treptow / Von der Zukunft vor dem Fall – CD-Review

treptow-von-der-zukunft-vor-dem-fall

Sie sind vergleichsweise jung, selbstbewusst genug und machen aus ihrer Vorliebe für Berlin keinen Hehl. Lokalkolorit und authentische Rockmusik sind die wichtigsten Zutaten für Philipp Taubert und Lukas Lindner, die zusammen das Duo Treptow bilden.

Unter dem Titel "Von der Zukunft vor dem Fall" haben sie ihr zweites Album vorgelegt, das auf das Debüt "Besser selbst als gar nicht" (2017) folgt.
Eine Vielzahl der Texte bemüht Themen aus Berlin. "Königin" ist eine Liebeserklärung an vergangene Zeiten: »Ganz Berlin lag mir zu Füßen, das war hier alles unsere Stadt« heißt es im Refrain, der ein wenig den hiesigen Dialekt erkennen lässt. Damit belassen es die Musiker. Die Titel klingen durchweg hochdeutsch. Berlin steckt allein in den Botschaften der Texte. "Petersberger Platz" und "Insel der Jugend" beschreiben nahe gelegene Schauplätze aus Kindheit und Erwachsenenzeit der beiden Protagonisten. Dabei liegt die Insel der Jugend zwischen Treptower Park und Forst Plänterwald direkt in dem Teil Berlins, der der Band der Namen gab. Erst 2001 wurde der ursprünglich 1920 gegründete Bezirk mit dem Nachbarbezirk Köpenick zum neuen Bezirk Treptow-Köpenick vereint. Treptow bedeutet für die Rockmusiker Kindheit und Identität zugleich. Hier lag der Ausflugsdampfer, der für vier Jahre Proberaum war und der als Ort die Bandgründung einleitete.
Ein Stück Nostalgie, das die Musiker in ihren Texten leben. Darin nehmen sie bewusst politische Themen mit auf und beziehen Stellung. Das erste Lied, "Narrenschiff", trägt die Botschaft schon im Namen und setzt sich mit der aktuellen Lage in Deutschland auseinander. Ein kraftvoller Song, der unter die Haut und fast schon ein wenig in Richtung Punk geht. Es ist nicht die einzige Nummer in dieser Wahrnehmung.
Völlig anders gelagert ist "Nachts auf dem Fahrrad". Die kurze Nummer lädt zum Schmunzeln  ein und macht einfach gute Laune. Natürlich führt die Fahrradtour den Hörer wieder durch Berlin.
Das Debüt "Besser selbst als gar nicht" setzte bereits ein Achtungszeichen. Das lag nicht nur am philosophisch angehauchten Titel. Dafür sorgten damals vor allem die vielfältigen musikalischen Einflüsse wie Country, Chanson, Singer/Songwriter-Intimität und Blues-Rock.

"Kantiger Liedermacherrock unter rauer Oberfläche" war der Anspruch, den sich die Bandmitglieder selbst auf die Fahne geschrieben haben.
Treptow lassen eine bemerkenswerte Entwicklung erkennen. Sänger und Gitarrist Philipp Taubert, heute 33, hörte in seiner Jugend zunächst Rap und Hip-Hop und galt später um 2015 als Neuentdeckung in der Berliner Liedermacherszene. Eine Akustikgitarre begleitete seine ruhigen und teilweise sehr metaphorischen Texte. Er sang von der Schönheit in den einfachen Dingen. Auf dem Weg zum neuen Album ist aus dem Trio ein Duo geworden. Taubert, der alle Texte schrieb und gemeinsam mit seinem Kollegen am Schlagzeug alle Songs komponierte, macht aus seinen Botschaften keine Wissenschaft und schreibt weiter in einfachen Sätzen. Es bleibt bei klaren Aussagen ohne großen Schnörkel.

Das trifft im übertragenen Sinn auf die Musik zu. Hier wissen Philipp Taubert und Lukas Lindner zu überraschen. Einen solch kräftigen rockigen Sound erwartet man gewiss nicht von einem Duo, das sich zu deutschsprachigen Texten bekennt.

Gereift sind Treptow seit 2017 auch durch weit über 200 Konzerte. Über Wien bis Duschanbe, von Rom bis Moskau, von Teheran bis Manama haben sie mittlerweile die halbe Welt mit ihrer Musik bereist. Ihre Auftritte führten sie nach Russland, Usbekistan, Tadschikistan oder den Iran – jeweils Staaten, in denen ihre Musik und ihre Ansichten allgemein als Provokationen gelten. Diese Begegnungen mit den Menschen und der Kultur haben die beiden Musiker geprägt und mit Blick auf die Umstände in Deutschland politisiert. Ihre Haltung macht sie nach eigenem Bekunden zu Botschaftern für Vernunft, Weltoffenheit und Vielfalt.

"Von der Zukunft vor dem Fall" steht eigenständig als Meilenstein in der Bandhistorie, darf aber aus gutem Grund gemeinsam mit dem Debütalbum als Empfehlung gesehen werden. Deshalb ist es viel zu schade, Treptow als Nischenband anzusehen. Hier steckt weitaus mehr drin.

Das CD-Artwork ist handgezeichnet und in Zusammenarbeit mit dem Künstler Sambo Jussi entstanden. Es erzählt die Geschichte des gesamten Artworks zum Album. In Actionheldenmanier trotzen Treptow als Comic-Figuren sogar einem auf der Erde einschlagenden Meteoriten.


Line-up Treptow:

Philipp Taubert (Gesang, Mundharmonika, Gitarre)
Lukas Lindner (Schlagzeug, Perkussion, Harmoniegesang)

Gastmusiker:

Daniel Weber (Bassgitarre)

Tracklist "Von der Zukunft vor dem Fall":

  1. Narrenschiff
  2. Königin
  3. Petersburger Platz
  4. Burgen aus Sand
  5. Nachts auf dem Fahrrad
  6. Insel der Jugend
  7. Wilder Rosmarin
  8. Rote Locken
  9. Fett gewordene Streuner
  10. Herbstland
  11. Radebeul

Gesamtspielzeit: 38:40, Erscheinungsjahr: 2021

Über den Autor

Mario Keim

Musikstile: Heavy Rock, Rock, Deutschrock, Hard Rock
Marios Beiträge im RockTimes-Archiv

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>